Linda Geberzahn war vom Juli 2007 bis April 2008 im Zusammenhang mit einem sog. freiwilligen sozialen Jahr (FSJ) in Südafrika. Sie hat in Krankenhäusern und Pflegestationen gewirkt und bei schwarzen Familien in Townships gewohnt. Hierrüber hat sie zahlreiche Erfahrungsberichte geschrieben, die hier auf diesen Webseiten veröffewntlicht sind.

NEUER ERFAHRUNGSBERICHT vom 22.04.2008 weiter unten.

Übrigens, in Ihrer 10. Mail schreibt Linda: "... am Mittwoch, den 23. April um 5.55 Uhr (früh morgens) betrete ich schon wieder deutschen Boden ...".
Wir hoffen, dass sie eine gute Heimreise hat und begrüßen sie wieder recht herzlich in der Heimat, verbunden mit dem Dank für die vielen ausführlichen und spannenden Berichte von ihrer Reise. Zudem sind wir auf den Abschluss dieser Berichte gespannt, den sie in ihrer letzten Mail angekündigt hat.

Vorgeschichte

Linda Geberzahn ist im Juli 2007 zu einem freiwilligen sozialen Jahr nach Südafrika gestart. Sie wird in Krankenhäusern und Pflegestationen wirken und wohnt bei schwarzen Familien in Townships. Vermittelt wurde es von der CAJ. Pfarrer Meudt hat Linda während dem Gottesdienst am 08.07.2007 gesegnet und verabschiedet. Es wird sicherlich ein tolles Erlebnis mit vielen Eindrücken werden. Von Zeit zu Zeit schildert Linda Zeit hier auf dieser Seite Ihre Erlebnisse und Eindrücke. Wir wünschen Ihr alles Gute für das Jahr. 

vom 19.07.2007

Ein Jahr als Helferin in Aids-Klinik
Limburg-Lindenholzhausen. Fast am anderen Ende der Welt liegt die künftige Heimat von Linda Geberzahn. Die Abiturientin verbringt vor ihrem Medizinstudium ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in Südafrika. „Neben dem medizinischen, möchte ich dort vor allem auch einen menschlichen Dienst leisten“, hofft sie kurz vor ihrer Abreise. Die junge Frau wird in einer Aids-Klinik arbeiten.

Auf den Stationen werden nur Patienten betreut, für die der Tod zur Gewissheit geworden ist. Wenn Medikamente nicht mehr helfen, bräuchten diese Menschen vor allem Helfer, die ihnen ein würdiges Sterben ermöglichen und das Leiden so gering wie möglich halten. In Begleitung von Fachkräften will Linda Geberzahn währen ihres Aufenthaltes versuchen, ein solcher Helfer zu werden. Nicht nur finanzielle Unterstützung erhält sie von ihrer Familie und ihren Freunden sowie von vielen anderen Spendern. „Ich wünsche mir, dass ich den Afrikanern einen Grund zur Hoffnung geben kann. Ich möchte ihnen zeigen, dass es Menschen gibt, die sich für ihre Zukunft und ihr Leben interessieren“, sagt sie. Für sich selbst erhofft sich die ehemalige Marienschülerin neue Lebenserfahrungen und auch einen Bonus für ihr Medizinstudium; das FSJ könne als Pflegepraktikum angerechnet werden.
Die Entscheidung, in Südafrika zu helfen, sei ihr nicht schwer gefallen. Linda Geberzahn erinnert sich noch lebhaft an ihren ersten Aufenthalt dort. Im Rahmen eines Austauschprogramms der Christlichen Arbeiterjugend und deren südafrikanischer Partnerorganisation habe sie bereits vor zwei Jahren die afrikanische Mentalität schätzen gelernt. Trotz der alltäglichen Auseinandersetzung mit dem Tod durch Aids, der mangelnden medizinischen Versorgung und der hohen Kriminalität hätten die Menschen in Südafrika nichts von ihrer ansteckenden Lebensfreude verloren. Linda Geberzahn möchte ihren Teil dazu beitragen, dass dies so bleibt. (scm)


Berichte aus Süd-Afrika

10. E-Mail von Linda vom Di 22.04.2008 12:06 (Fortsetzung der 9. Rundmail, siehe weiter unten):

Fortsetzung ...

... Kriminalität und HIV/Aids, als auch die schlechte medizinische Versorgung sind die Hauptursachen für die hohe Sterberate hier in Südafrika, vor allem in Kwa- Zulu Natal und begleiten dich hier in deinem alltäglichen Leben. Neben dem Fakt, dass Großmütter im Durchschnitt nur 65 und Großväter nur Mitte 50 werden, ist das Schlimme, dass vor allem junge Menschen (im Alter zwischen 18 und 30 Jahren) sterben, die die Zukunft des Landes sein sollen. Ich möchte euch heute näher bringen, in welcher Form ich jene erfahren habe....

.....HIV/Aids, das tötet: Im Oktober letzten Jahres besuchte ich die Beerdigung eines 13 Jahre alten Jungen. Es war der Sohn eines sehr engen Freundes von uns und Saneles Familie. Er starb an den Folgen von Aids, worüber allerdings niemand spricht. Die Mutter des Jungen wurde mit 14 Jahren schwanger und starb im Alter von 21 im Jahre 2005 ebenfalls an den Folgen von Aids. Der Vater des Kindes behauptet allerdings, dass sein Sohn an Asthma gestorben sei. Würde er die wahre Todesursache nennen, würde er gleichzeitig bezeugen, dass er womöglich auch mit dem HIV-Virus infiziert sein könnte.

Es war Herz zerreißend ein Kind im Sarg zu sehen. Jener stand im Zimmer des Jungen bis wir zur Kirche zogen. Die Zeremonie fand in einer katholischen Kirche statt. Es war lange Zeit her, seit ich jene betrat. Wir knieten auf einer Bank, um die Hostie, als auch den Wein zu empfangen. Der Fünfer-Schulchor der Schule des Jungen sang in Gedenken an ihren Mitschüler (aufgrund seines Krankheitszustandes war er trotz seines Alters erst in der 5. Klasse - jeden Morgen ging er zu Fuß zur Schule, eine 2-3 km Strecke, für welche er dreimal länger als seine Mitschüler brauchte, da er nicht mehr richtig laufen konnte) und wir zogen gemeinsam zur Grabstelle.

Nun war neben dem Tod des Kindes der Schmerz da, dass sehr wahrscheinlich auch unser Freund eine tödliche Krankheit habe, sollte sich die Mutter nicht während der Schwangerschaft infiziert oder er einfach Glück gehabt haben. Mir fällt es sehr schwer auf den Moment zu warten, bis er ebenfalls krank wird, anstatt in ihm ein Bewusstsein für den Virus hervorzurufen, sodass er sich testen lässt und er, sollte er infiziert sein, rechtzeitig behandelt werden kann.

Wenn ich bei Saneles Familie zu Hause bin, kommen in regelmäßigen Abständen Mädchen und junge Frauen, als auch vereinzelt junge Männer zu Saneles Mutter, die ihr eröffnen, dass sie sich mit dem HIV-Virus infiziert haben. Oft kommen sie schon schwer krank und Saneles Mutter macht es sich als Aufgabe sie in ihrem Zuhause zu besuchen, sie zu pflegen und für sie zu beten.

Kriminalität, die tötet: Gerade letzte Woche wurde ein Neffe von Saneles Schwager im Alter von 19 Jahren beim Fußball spielen erstochen und die Woche zuvor sah ich tagsüber einen jungen Mann zwischen den Marktständen liegen, nachdem ich seine Blutspur wahrgenommen hatte. Er wurde ebenfalls mit einem Messer angefallen. Situationen, die ich aus Filmen kenne, wie zu sehen, wie ein Mensch getötet und mit Waffe und Messer bedroht wird, sind hier Alltag und brutale Realität.

Das Geräusch einer Waffe, welches mir letztes Jahr noch das Herz stocken ließ, ist mittlerweile ein gewohntes Geräusch für mich, welches ich zweimal pro Woche höre. Gestern war es nicht einmal dunkel, als fünf Schüsse losgingen und ein Junge in unserer Nachbarstrasse erschossen wurde; Saneles Tante wurde nachts in ihrem Shack fünf Mal angeschossen, aus reinem Frust, da die Täter eine andere Person erwarteten.

Außerdem wurde unser kleiner Laden ausgeraubt, was dazu führte, dass der Kassenbereich mittlerweile mit Gitterstäben verriegelt ist; Ntathu wurde abends mit ihrer Freundin direkt vor unserem Haus angefallen und mit Glasflaschen und Peitsche verprügelt. Die Gruppe wollte Wertgegenstände;

Im Juli letzten Jahres wurde ein Mädchen von zwei Jungen in das uns gegenüber liegende Gebüsch gezogen und vergewaltigt. Sie töteten sie mit einem Messer; In Saneles Nachbarstrasse vergewaltigten zwei junge Männer zwei Mädchen in meinem Alter und drohten ihnen mit einer AK47 (illegales Maschinengewehr);

Sie vergewaltigten die Partnerin eines engen Freundes in seiner Anwesenheit, während sie ihn mit einer Waffe bedrohten. Anschließend zwangen sie ihn, mit ihr zu schlafen und stahlen seine Wertgegenstände als sie das Haus verließen;

Ein weiterer Freund wurde aufgrund eines Handys mit einem Messer im Rücken angestochen. Da er mit HIV infiziert ist und viel Blut verlor, war er lange Zeit sehr schwach und konnte nicht laufen. Jegliche Schwächungen des Immunsystems können für einen infizierten Menschen lebensbedrohlich werden. Ich frage mich, ob sich die Täter über eine Infektionsgefahr nicht bewusst sind. 

Jeder zweite Mensch, den man hier trifft, hat eine Vergangenheit und  hat jene Situationen an eigener Haut erlebt. Selbst der Fakt, dass ich mit einem Mörder (der unseren Freund angefallen hatte) in einem Raum saß, ist hier nichts Ungewöhnliches.
Ich kann euch nicht sagen, wie viele Menschen ich kenne, die ihre Zeit im Gefängnis verbracht haben, allerdings für kleinere Delikte bezüglich Raub.

Das Schlimme ist, dass man sich an Geschichten und Situationen gewöhnt, was nicht bedeutet, dass man sie gutheißt. Allerdings bin ich mittlerweile in der Lage über Dinge zu lachen, über die ich zuvor eher geweint hätte, da sich meine Normalitätsebene verschoben hat. Mit der Zeit nimmt man Geschehnisse rationaler war und schottet seine Gefühle ab, um jenes Leben zu bewältigen.

Selbst die Gitterstäbe vor meinem Fenster, welche in den Regierungshäusern automatisch vorhanden sind, nehme ich schon nicht mehr war. Jene und Zäune bzw. Mauern (bei wohlhabenderen Familien), als auch Stacheldraht sind Standard-Sicherheitsvorkehrungen in Townships, den schwarzen Gegenden.

In weißen Gegenden sind Sicherheitsvorkehrungen um das dreifache verschärft. Jedes Haus hat seine eigene Alarmeinrichtung, welche an der haushohen Mauer ums Haus durch ein Warnschild signalisiert ist. Neben verriegelten Toren und eigenen Security-Angestellten, sorgt ein Bulldogge für zusätzliche Sicherheit. Elektrifizierter Stacheldraht ist das letzte Sahnehäubchen.

Da lebe ich gerne, wie auf der Farm in Eastern Cape mit einem Plumpsklo als Toilette und einem Strohdach überm Kopf als in einem großen Haus, in welchem ich mich wie im Gefängnis fühlen muss, mit dem Bewusstsein, dass der Großteil der Menschheit in ärmlichen Verhältnissen lebt.

Die Straße, in der ich arbeite, ist so extrem, dass man vorm Einkaufsladen zwei Polizisten mit  Maschinengewehren antrifft und an der nächsten Ecke zwei weitere mit „Shambocks“ (Peitschen). Das Problem der Maschinengewehre ist, dass während einer Schießerei meist auch Unschuldige verletzt werden, was ich herausfand, als Sanele mir sagte, dass es nicht sicher sei, sich in ihrer Nähe aufzuhalten. Das Problem ist nicht nur der Raub im Supermarkt, sondern der Versuch die Waffen selbst zu stehlen, welches zu Schießereien führt. Es ist ein wirklich beklemmendes Gefühl, neben einem Menschen zu stehen, der ein Maschinengewehr trägt und bereit ist jenes einzusetzen. 

Jede Bank hier wird von solchen Polizisten bewacht. Es gibt spezielle Türen, durch welche jeweils nur eine Person gehen darf. Jeder Schalter ist mit Gittern verriegelt;
In Krankenhäusern, Kneipen, als auch Supermärkten findet man „Waffenverbots-Schilder“. Auch wenn ich mich mittlerweile an die Kriminalität gewöhnt habe, rufen jene wieder das Bewusstsein in mir hervor, in welch einem, kaum realisierbaren (eher filmähnlichen) Zustand sich dieses Land befindet.  

Selbst unser öffentliches Verkehrsmittel hier ist nicht sicher, da Taxifahrer in ständigem „Krieg“ sind. Gerade hat Clermont und Durban eine Schießerei, die um 7 Uhr morgens stattfand, hinter sich, bei der zwei Taxifahrer ums Leben kamen.
Sanele und ich hatten Glück, dass wir in solchen Momenten nicht im Taxi saßen, da auch unschuldige Passanten unvermeidlich verletzt werden.
 
Aufgrund diesen „Krieges“ war es einen Monat lang fast unmöglich ein Taxi nach Durban (in die Stadt) zu bekommen, da die Fahrer Angst hatten, sich dorthin zu begeben. Hatte man dann ein Taxi, hielt jenes aus Sicherheitsgründen nicht überall an und es konnte passieren, dass man am anderen Ende der Stadt raus gelassen wurde. Allerdings waren zu dieser Zeit viele Polizisten (ebenfalls mit Maschinengewehren) in der Stadt, die es, wenn man Glück hatte, einem Taxi möglich machen konnten, anzuhalten. 

Die Kriminalitätssituation hier in Südafrika wird durch Alkoholkonsum noch verschärft, weshalb an Wochenenden die größte Anzahl von Menschen ums Leben kommt und es Freitagnachmittag, als auch den ganzen Samstag oft nicht mal bei Helligkeit sicher ist.

Hinzu kommt, dass es keine Freizeitprogramme oder Hobbys für Jugendliche, die neben jungen Erwachsenen, die Haupttäter im Bezug auf Kriminalität sind, gibt. Allerdings stehen in Taverns (Kneipen) Billardtische, welche die Jugendlichen anlocken und automatisch in den Alkoholkonsum einführen. Man könnte in Townships Jugendräume eröffnen, in welchen sie einen Treffpunkt finden, den sie nach eigenem Interesse gestalten können und welcher eigene Verantwortungsbereiche mit sich bringt. Wochenendaktivitäten, wie Fußball, als auch Tanzwettbewerbe oder Zeichenkurse könnten ihnen die Möglichkeit geben, ihre Talente zu fördern und Interessen (an Stelle von Alkohol, Drogen und Kriminalität) zu finden, denen sie nachgehen können und welche sie in ihrer Freizeit beschäftigen. Zudem könnten sie ihren eigenen Chor, als auch eine eigene Schauspielgruppe eröffnen.
Junge Betreuer könnten auf der Ebene der Jugendlichen eine gute, vertrauensvolle Beziehung zu ihnen aufbauen und mit der Zeit neben bzw. durch spielerische Elemente Werte, als auch Lebens- und Zukunfts-, d.h. auch Berufsweisende Dinge vermitteln. Außerdem sollte der Jugendraum auf einem christlichen Hintergrund aufgebaut sein. Der Glaube an Gott und die aktive Beteiligung an der Kirche hat viele junge Menschen hier von Kriminalitätsdelikten und Drogen, inklusive Alkohol, bewahrt oder sie von jenen weggeführt. Jene Richtung bedeutet eine große Veränderung für dieses Land.

Hier in Durban sterben die Menschen schneller, als die Stadt in der Lage ist, Plätze für sie zu finden, um sie zu beerdigen. Jede Woche besucht man hier Beerdigungen. Manchmal muss man sogar die Familie aufteilen, da zwei an einem Tag stattfinden.
Vor fünf Jahren fanden in Durban 120 Beerdigungen per Wochenende statt, mittlerweile sind es 600. Das bedeutet, dass die Stadt jedes Jahr an die 12.1 Hektar Land für “Friedhöfe” benötigt und das würde bedeuten, dass Durban mit der Zeit ein einziger Friedhof wäre.
 
Die momentane Lösung ist, die Gräber alle zehn Jahre zu recyceln, was jedoch der Zulu-Tradition widerspricht. Allerdings ist es die bessere Lösung für viele Afrikaner, da ein erneuertes Grab fünf mal billiger ist, als ein neu angelegtes. Die beste Lösung wäre es Körper zu verbrennen, aber das verweigern die Afrikaner strikt, da es die Vorfahren “böse” mache.

Es ist nicht ungewöhnlich drei Menschen aus deiner Familie in einem Jahr zu beerdigen, was die Familie neben dem schmerzhaften Verlust unter finanziellen Nöten leiden lässt, was wie in Eastern Cape dazu führen kann, dass der Familie nur Maismehl als Nahrung zur Verfügung steht. Eine Beerdigung kostet 15.000 Rand, ungefähr 1.500 Euro, das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Arbeiters hier. Eine Feuerbestattung würde nur rund 2.000 Rand, weniger als 200 Euro benötigen.

Die Zahl der Waisenkinder, die zurückbleiben, kann in Statistiken gar nicht wirklich erfasst werden, da dort bloß jene erscheinen, die heimatlos sind. Allerdings wird die größte Anzahl von Kindern, die ihre Eltern verloren haben, allerdings von anderen Familien aufgenommen wurden, in jenen nicht erfasst. Mbembe, der Junge, der mit uns lebt, ist ein Beispiel dafür, als auch Keke, den die beste Freundin von Mom´Jabu als einen Neugeborenen in einem Bananenbaum fand und zu sich aufnahm. Er ist mittlerweile sieben Jahre alt. 

Ich kann Gott dafür danken, dass ich eine komplette Familie, d.h. beide Elternteile, meinen Bruder, als auch alle meine Großeltern in Deutschland habe und vor allem, dass er mir das ganze Jahr über einen Schutzengel geschickt hat und ich selbst von Vergewaltigung, Raub, einer Waffe an meiner Schläfe und anderen Delikten bewahrt wurde.

In nicht mal einer Woche, um genau zu sein, Mittwoch, den 23. April um 5.55 Uhr (früh morgens) betrete ich schon wieder deutschen Boden. Ich hoffe ja, dass sich die Sonnenstrahlen bis zum Tag meiner Heimkehr wieder durchgerungen haben.

Ich werde dann ein letztes Mal von mir hören lassen, um euch meine letzten Wochen in Südafrika, als auch meine ersten Wochen in Deutschland, d.h. meine Abschiede, als auch Empfänge zu schildern und mein Jahr mit einer Liste von ungewöhnlichen Dingen bezüglich Südafrikas abzurunden.

Bis dahin

Salani kahle! Ngizokubona maduze!
(Stay well! I´ll see you soon!)

Linda

PS: Mein Bett hat in letzter Sekunde den Geist aufgegeben. Für meinen letzten Monat in Clermont war meine Federmatratze nicht mehr verwendbar. Ich lag wie auf einem Drahtgestell und die Federn bohrten sich mir in den Rücken, abgesehen von solchen, die sich schon durch den Stoff gebohrt hatten und meine Kleidungsstücke demolierten, wenn ich an ihnen hängen blieb. Selbst durch umbiegen oder abbrechen ließ sich dies nicht ändern. Dank Mom´Jabu darf ich bis zum Tag meiner Abreise ihr altes Bett verwenden.


 
9. E-Mail von Linda vom Do 17.04.2008 11:37 (Fortsetzung der 8. Rundmail, siehe weiter unten):

In der Xhosa Tradition mauern sie ein Grab ...

... Sie graben die Woche vor der Beerdigung ein großes Loch, in welches 2 Särge nebeneinander passen. Die eine Hälfte mauern  sie zu und lassen einen Sarg großen Raum, welcher zur anderen Hälfte hin offen ist und mit einem Tuch verhangen wird. Der Sarg wird ins Loch abgelassen und dann in den Raum geschoben bzw. gehoben.

Nachdem Samstagmittag der Sarg im verhangenen Raum war, gingen wir am Grab vorbei und streuten Erde ins verbliebene Loch - nicht wie bei uns auf den Sarg (da dieser nun im “Raum” ist).
Die Familienmitglieder, die an Babamcanes (Onkel) Beerdigung nicht teilnehmen konnten, legten einen Stein an sein Grab. Anschließend wurde das Tuch weggenommen und die Wand zugemauert, um am nächsten Tag das Loch zuzuschaufeln.

In afrikanischer Tradition darf man das Mittagessen nicht zu sich nehmen, wenn man keine Erde gestreut hat. Außerdem stehen Behälter mit Wasser und bei jenen, die an Vorfahren glauben, mit Muthi (traditionelle Kräuter, Näheres in einer weiteren Email) vorm Grundstück, in welchem man seine Hände wäscht. Nach strengem Glauben darf man ebenfalls nichts essen, wenn man seine Hände nicht darin gewaschen hat. Da Saneles Familie sehr christlich ist und nicht an Vorfahren glaubt, folgen sie beiden Bräuchen nicht.

Mamcane wurde neben ihrem Ehemann beerdigt, d.h. sie haben ihren Raum direkt an seinen gebaut. Während die jungen Männer das Grab mauerten, hätten sie gerne mal einen Stein der verbindenden Wand rausgenommen und gesehen was nun -nach zehn Jahren- im Raum des Ehemannes sei. Dazu hatte sich dann aber doch keiner durchgerungen.

In der Zulu Tradition gräbt man Samstagmorgen (gegen 5 Uhr, d.h. einige der Männer haben aufgrund der Donnerstagnacht-Zeremonie keinen Schlaf gefunden) ein normales Loch, allerdings in einer speziellen Form (ein Familienmitglied, natürlich männlich, muss den ersten Spatenstich machen). Der untere Teil hat die Breite und Höhe des Sarges. Der Teil darüber ist breiter, sodass man auf den zwei entstehenden Kanten stehen kann. Nachdem der Sarg abgelassen wurde, legen die Männer Holzbretter oder große flache Steine auf den Sarg, um ihn zu schützen.
Anschließend schaufelt man die Erde zurück. Sobald das Loch wieder eben ist, setzt man Steine als Umriss, um das Grab zu signalisieren. Man schaufelt eine neue Schicht und setzt wiederum Steine - solange, bis der Grund aufgebracht ist. Ein Grab hier wird somit durch einen Erdhügel mit Steinumrandung signalisiert. Grabsteine sieht man nur ganz selten bei Familien, die es sich leisten können. Es kommt jedoch auch vor, dass eine Familie lange spart und den Grabstein erst nach zehn Jahren anbringt.   

Gegen drei Uhr Samstagmittag gaben wir das Essen aus. Wir schlachteten am Morgen eine Kuh und acht Schafe. Unglaublicher Weise aßen wir aufgrund der Anzahl an Beerdigungsgästen diese Menge an Fleisch an einem Tag. Außerdem servierten wir Rote Beete, Karottensalat, Kürbispüree mit Reis oder Samp (getrocknete Maisstücke, die mit Bohnen vermischt und gekocht werden).

Nach dem Essen verließen die Gäste nach und nach das Grundstück. Als alle gegangen waren, saßen wir mit der verbliebenen Familie zusammen und unterhielten uns. Wir hatten eine ruhige Nacht und reisten am nächsten Tag ab. Ein Cousin von Sanele ist Künstler und gab mir eine Skulptur als Geschenk, welche ich mit nach Deutschland nehmen solle. Das wird allerdings nicht leicht, da ich selbst nach fast einem Jahr nur 20 Kilo an Gepäck haben darf.

Die Mütter verabschiedeten wir am Fluss. Sie gingen früh morgens, um dort ihre Bütten voll Wäsche inklusive Decken (Koltern) zu waschen. Waschen in Flüssen ist aufgrund von Waschpulver als auch Handseife mittlerweile ein wirkliches Problem in Farmgegenden in Teilen Afrikas. Familien, die im oberen Teil des Flusses leben, haben keine Probleme und haben oberhalb ihrer Waschstelle stets sauberes Wasser, welches sie zum Trinken verwenden. Die Familien, die im unteren Teil des Flusses leben, finden hingegen schmutziges Wasser vor, in welchem sie zwar ihre Wäsche waschen können, welches zum Trinken allerdings nicht mehr geeignet ist. Es gibt Hilfsprogramme von westlichen Ländern, die in verschieden Teilen Afrikas versuchen, Flüsse in verschiedene Bereiche einzuteilen, sodass der untere Teil für die Wäsche, der mittlere Teil für das Waschen des Körpers und der obere Teil als Trinkwasser verwendet wird.

Um in die Stadt zu gelangen, blieb uns nichts anderes übrig, als ein Auto anzuhalten, wenn wir nicht drei (oder mehr) Stunden warten mochten, bis ein Minibus-Taxi vollgeladen war. Nach gut 15 Minuten saßen wir im Laderaum eines Vans und waren nach gut einer Stunde in Umtata. Anhalter ist hier in Südafrika eine gängige Art von Transport. Es gibt sogar feste „Anhalter-Preise“. Außerdem ist es wie gesagt oft schneller, als auch bequemer und günstiger, als sich in ein Minibus-Taxi zu begeben. So auch von Idutywa nach Umtata.

Dank familiärer Unterstützung war es uns möglich eine Nacht in einer von einer Familie vermieteten Rundhütte an der „Wild Coast“ (ca. 40 km von Umtata) für 50 Rand, weniger als 5 Euro, zwischen zu schlafen, bis wir uns am nächsten Tag auf den restlichen Heimweg begaben. Bis auf Bilder von anderen Freiwilligen, wusste ich nicht, dass es so schöne Gegenden in Südafrika gibt. Ich konnte einen Tag mal richtig abschalten.

Der Rückweg war allerdings sehr abenteuerlich. Zurück zur Stadt wurden wir wiederum in einem Van gebracht, der allerdings dieses Mal Gift im Ladebereich, welcher unser Sitzplatz war, transportierte. Es bedurfte jeglicher Verrenkungen, um zu vermeiden, dass das Gift, welches von einem Behälter, der nicht richtig gereinigt wurde, herunterlief, unsere Taschen, als auch uns selbst nicht berührte. Nach gut einer Stunde waren wir in der Stadt und nach gut sechs Stunden zurück in Clermont.

Was mir an den Beerdigungen hier wirklich gefällt ist, dass sie eine Woche lang dauern, in der man aufgrund der Anwesenheit der ganzen Familie, als auch Freunden, Nachbarn und Kirchenmitgliedern durch  Gebete, Predigten (Gottes Wort), Gesängen, als auch einfache Gesprächen wirkliche Heilung findet. Neben dem Schmerz, den das Waschen des Verstorbenen als auch der Grabbau mit sich bringt, ist es meiner Meinung nach ein guter Weg aktiv Abschied zu nehmen.

Ich bewundere die menschlichen Fähigkeiten, die Afrikaner innehaben, Dinge zu verarbeiten, als auch andere durch ausdruckstarke Worte zu bestärken. Fast jeder Afrikaner hier hat das Talent ein Redner oder Prediger (ohne jegliche Notizen, einfach aus dem Herzen heraus) zu sein.

In der Zulu Tradition rasiert man sein Haar komplett ab, wenn ein Familienmitglied gestorben ist. Allerdings ist das bei afrikanischem Haar kein Problem und eine Kurzhaarfrisur für Frauen, welche ihnen wirklich gut steht, ist hier in Mode. Es ist natürlich schmerzhaft, wenn man es gerade schön lang wachsen hat lassen.
Ich bin sehr froh, dass wir einen solchen Brauch nicht haben. ; )

Kriminalität und HIV/Aids, als auch die schlechte medizinische Versorgung, sind die Hauptursachen für die hohe Sterberate hier in Südafrika, vor allem in Kwa- Zulu Natal und begleiten dich hier in deinem alltäglichen Leben. Neben dem Fakt, dass Großmütter im Durschnitt nur 65 und Großväter nur Mitte 50 werden, ist das Schlimme, dass vor allem viele junge Menschen sterben, die die Zukunft des Landes sein sollen. Ich möchte euch heute näher bringen, in welcher Form ich jene erfahren habe....

... Fortsetzung folgt (siehe 10. Rundmail weiter oben)



8. E-Mail von Linda vom
Do 10.04.2008 13:53:

Molweni (Hallo in Xhosa),

vor zwei Wochen habe ich mich mit der Familie meines Freundes Sanele auf den Weg nach Eastern Cape begeben, da seine Tante (“Mamcane”), die Schwägerin seines verstorbenen Vaters, an einer Darminfektion gestorben ist. Sie hinterließ sechs Kinder, ihre jüngste Tochter ist bloß elf und der älteste Sohn vierzig Jahre. Sie haben vor zehn Jahren ihren Vater verloren und nun auch ihre Mutter.

Es war eine sechs stündige Reise von Durban, für Saneles Familie eine neun stündige, sehr teure Reise von Ladysmith. Es ist schlimm, dass man neben dem Verlust auch noch finanziell leiden muss. Von Durban nach Port Shepstone, von dort nach Kokstad, wo wir die Grenze zwischen Kwa-Zulu Natal(Zulu sprachig) und Eastern Cape (Xhosa sprachig) erreichten, weiter nach Umtata und zum kleinen Ort Idutywa, vor welchem wir das Haus von Nelson Mandela passierten.

Wenn hier ein Mensch stirbt, muss die Mutter des Hauses bis zur Beerdigung (d.h. im Township eine Woche, auf der Farm zwei Wochen lang) in einem leeren, dunklen Raum mit einer Kerze auf einer Strohmatte auf dem Boden sitzen, mit einer Decke über sich und meist einem schwarzen Tuch, dass ihr Gesicht bedeckt. (meist leert man den Raum der verstorbenen Person, in welchen auch Freitagabend bzw. Samstagmorgen der Sarg gebracht wird). Sie sitzt dort mit den Großmüttern der Familie, mit welchen sie zusammen betet. Regelmäßig kommen Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn, als auch Bekannte und sprechen ihr Mitleid aus, reden, singen und beten mit ihnen. Ein Jahr lang trägt sie nur schwarz und nimmt an Feierlichkeiten wie Hochzeiten als auch Membesos nicht teil. Radio und andere Medien werden für rund einen Monat weggestellt.

Um elf Uhr Donnerstagnacht kamen wir auf der Farm der Familie von Saneles verstorbener Tante an. Begrüßt wurden wir erst am nächsten Tag, da alle schon schliefen. Neben der Familie waren rund 80 Menschen untergebracht. Die älteren Leute schliefen alle im Rundhaus, während die anderen samt Kindern in verschiedenen Räumen auf dem Boden verteilt lagen. Ich frage mich wirklich, wie alte Leute es meistern, ohne Matratze auf dem harten Boden zu schlafen.

Wenn man nachts zur Toilette musste, stand ein kleiner Eimer zur Verfügung, da es unmöglich war und ist im Dunkeln das entfernte Plumpsklo ausfindig zu machen. Dieses Mal hatten wir allerdings ein echtes „Deluxe“-Plumpsklo. Der Außenbau im Format eines Dixi-Klos war wie üblich aus Wellblech und hatte ein zusätzliches Fenster-Loch (bin mir nicht wirklich sicher wofür - sollte jemand direkt vor der Toilette stehen, kann er dir auf jeden Fall durch jenes schön zusehen). Das Besondere war jedoch der Klodeckel, der schön aus Holz zurecht geschnitzt war. Nicht zu vergleichen mit dem Plumpsklo eines Freundes, auf welchem man lediglich auf einem kleinen Eimer mit einem Loch von 20cm Durchmesser sitzt. Balance und Zielsicherheit sind hier gefragt. ; ) (Frage mich ja, wie afrikanische Frauen mit überdimensionalen Gesäßen es meistern, jene zu benutzen).

Allerdings war es am Tag der Beerdigung etwas problematisch den Plumpsklo zu benutzen, da man aus dem Zelt direkt auf die Toilette schauen konnte. Geduld musste man auch mitbringen - kann man sich ja vorstellen, wenn sich 100 bzw. am Tag der Beerdigung 300 Menschen eine Toilette teilen. Das konnte schon mal hart für Saneles Schwestern sein, die aufgrund des Wassers an Durchfall leideten.

In Townships wie Deepslut verwenden sie ein sogenanntes Eimersystem. Die Außentoiletten sehen von draußen gleich aus, sind jedoch keine Plumpsklos.
Im Innenraum steht lediglich ein Eimer, hinter welchem in der Wellblech-Wand ein Loch ist, damit jener -wie Müll- eingesammelt werden kann. Für die „Kot-Einsammler“ ist dies ein 24-Stunden-Job. Für die Arbeiter als auch die Benutzer ist es ein menschenunwürdiger hygienischer Zustand. Es ist Ziel der Regierung jegliche Systeme komplett abzuschaffen und durch Plumpsklos mit einem unterirdischen Ableitungssystem zu ersetzen. Hinzu kommt, dass in einem Township Shacks an Shacks gebaut sind und keine freien Flächen wie auf einer Farm existieren. Alle 8 m steht eine Eimer-Toilette, wodurch ein sehr strenger Geruch in jenen Gegenden herrscht. Selbst durch den Umbau zu Plumpsklos lässt sich jener nicht beseitigen.

Neben dem Grab, welches die Männer hier selbst ausheben, waschen sie die verstorbene Person Donnerstagabend (im Township Freitagmorgen) im Leichenhaus oder auch zu Hause, sodass die Trauergäste ihn am folgenden Tag im Sarg sehen können. Dies ist eine sehr schmerzvolle und harte Aufgabe, welche oft kaum zu bewältigen ist, wenn der Verstorbene verunglückte und schwerwiegende Verletzungen oder Verbrennungen hat, die ihn kaum wiedererkennen lassen.

Um fünf Uhr Freitagmorgen waren wir alle wach und ich wurde herzlich von Saneles Mutter empfangen, die schon eine Woche zuvor mit ihm nach Eastern Cape fuhr. Mit zehn Frauen, jung und alt, wuschen wir uns in einem Raum. Es kam schon mal vor, dass nicht genügend Bütten zu Verfügung standen und man sich ein wenig gedulden musste.
Heißes Wasser holten wir von der Feuerstelle hinterm Haus, wo an die fünf Kessel kochten. Kaltes Wasser wird in einem Tank aufbewahrt. Es ist Regenwasser, welches von der Regenrinne in den Tank fließt. In Deutschland verwenden wir dieses Wasser zum Blumengießen, hier ist es Trinkwasser. Regenwasser an sich ist sehr sauber, die dreckige Rinne als auch die Aufbewahrung in einem Tank bei südafrikanischen Temperaturen sind das Problem.

In Deutschland würden wir es einfach kochen und kaltstellen. Allerdings ist dies bei mehr als 100 Menschen und einem kleinen Kühlschrank kaum zu bewältigen. Die Menschen auf der Farm sind an das Wasser gewöhnt, Saneles Familie von Ladysmith bereitete es allerdings Probleme: Durchfall, Hautausschläge etc. Ich blieb zum Glück von jeglichem verschont, trank allerdings auch trotz der Hitze hauptsächlich Tee.

Aufgrund der Beerdigungskosten aß die Familie seit gut einer Woche ausschließlich Maisbrei. In der Xhosa Tradition beinhalten jene neben der Beerdigung selbst, die Ernährung von rund 100 Menschen über zwei Wochen, da der Körper nicht wie bei uns und den Zulus das kommende Wochenende beerdigt wird (im Township bedeutet dies den Kauf einer Kuh, welche auf einer Farm natürlich schon vorhanden ist). Außerdem mauern die Xhosas das Grab, welches ich euch später erkläre. Dank einer Spende aus Deutschland war es mir möglich, meinem Anliegen nachzugehen, Essen für die Familie zu kaufen, da ich sie neben dem schmerzhaften Verlust nicht auch noch unter Hunger leiden sehen mochte.

Wie ihr seht, nennt Sanele seine Tante “Mamcane”, kleine bzw. junge Mutter. Hier in Südafrika werden die Bezeichnungen Bruder und Schwester, als auch Vater und Mutter mehr verwendet als in Deutschland. Das hat mich zu Anfang sehr verwirrt, deshalb erkläre ich euch kurz wie dies Zustande kommt:
Die Cousins und Cousinen von der Seite des Vaters nennt man Brüder und Schwestern, von der Seite der Mutter sind es, wie bei uns, Cousins und Cousinen.
Die Brüder des Vaters nennt man „small father“ oder „big father“, kleiner bzw. junger oder großer bzw. alter Vater. Die Schwestern des Vaters sind wie bei uns Tanten.
Vergleichsweise nennt man die Schwestern der Mutter „small mom“ oder „big mom“ und die Brüder der Mutter sind wie bei uns Onkel.
Ist gar nicht so einfach, aber mit der Zeit versteht man es und gewöhnt sich dran.

Auf der Feuerstelle bereiteten wir an die 30 Rundbrote (30cm Durchmesser) zu, die innerhalb eines Tages aufgebraucht waren. Nachdem ich eine Scheibe Brot und Tee getrunken hatte, bereiteten wir Essen für die arbeitenden Mütter zu. Trotz 100 Menschen auf einem Raum, waren alle Arbeiten (natürlich immer in Schürze... zuerst hatte ich keine und trug jene der Großmütter... sah schön lustig aus... am Ende bekam ich dann mein eigene, für jüngere Frauen geschneiderte) gut zu meistern, da wir auf einer Farm und nicht auf einem kleinen Township-Grundstück waren. Wo wir uns an der Hochzeit eine 8-Quadratmeter-Küche mit zehn Frauen teilten, hatten wir hier einen großen Außenbereich, an dem wir alles vorbereiten konnten. Auch am Abend musste man nicht über Menschen, die bereits schliefen steigen, da genügend Platz und Räume zur Verfügung waren.

Nach der Essensausgabe besuchte ich mit Sanele und seinem Cousin Thabo Mbekis Mutter, die zwei Straßen weiter wohnt, 82 Jahre alt ist (welches wahrscheinlich nur durch die gute finanzielle Stütze möglich ist - ich kenne keine Frau in diesem Alter hier) und auch an der Beerdigung samstags teilnahm. Sie lebt in einem ganz normalen Haus, welches man nicht erwartet, wenn man bedenkt, dass sie die Mutter des Präsidenten von Südafrika ist. Sie kann sich ganz frei bewegen, da die Menschen an sie gewöhnt sind. Auch wenn sie ein wenig mehr Beachtung bekommt, ist sie hier eine von vielen. Sollte sie jedoch in eine andere Gegend reisen, ist sie eine Prominente.
Außerdem zeigte Saneles Cousin mir die Schule seiner Gegend, eine „Highschool“ (mit einem Gymnasium vergleichbar), die Thabo Mbekis Mutter bauen ließ.

Anschließend besuchten wir das Haus der an einem Hirntumor erkrankten Mutter von Saneles Schwägerin, welche mittlerweile 4 Operationen hinter sich hat. Nach der ersten Operation war sie zu nichts in der Lage. Nach der letzten Operation war bloß die rechte Seite gelähmt, weshalb sie immer noch Probleme mit dem Sprechen hat. Ihr Auge steht unverändert hervor, was in einer weiteren Operation im April gerichtet werden soll. Mittlerweile lebt sie seit zwei Wochen mit ihrer Tochter und kann langsam wieder laufen, sich waschen und kleine Arbeiten verrichten.

Ihre zwei Söhne leben gemeinsam in einem Rundhaus. Rundhäuser werden hier mit Hölzern (wie ein Korb) geflochten und mit Steinen und Dreck bzw. Matsch aufgefüllt. Das Dach besteht aus Holzverstrebungen und getrocknetem Gras. Es ist schon komisch, viereckige Möbel in einem runden Haus unterzubringen - viele Ecken zum sauber machen ; ) Allerdings mag ich runde Räume. Sie strahlen sehr viel Ruhe aus und es ist einfach sich mit vielen Menschen darin aufzuhalten. Man legt einfach Strohmatten auf den Boden und sitzt automatisch im Kreis.

Auf unserm Rückweg begegneten uns Kinder auf Pferden freihändig galoppierend, ein gängiges Transportmittel hier. Den ganzen Tag schnippelten wir Kürbisse und Karotten. Meine Hände waren orange, was bis Montagmorgen nicht zu ändern war.
Allerdings zeigte dies, dass ich gearbeitet hatte, was hier etwas ganz Besonderes ist und somit große Beachtung findet, da es für Afrikaner mit Apartheid-Hintergrund unvorstellbar ist, eine weiße Frau die selben Arbeiten, im selben ’Kittel’ und in der selben Küche, wie eine schwarze Frau verrichten zu sehen.

Seit Freitagmorgen sangen, tanzten und beteten die älteren Frauen und Kirchenmitglieder im Rundhaus, bis sie spät abends, gegen elf Uhr, ins kleine Zelt (für rund 100 Menschen) umzogen, wo ein Gottesdienst stattfand. Nach der Predigt hatte jeder Einzelne die Gelegenheit über seine Zeit mit “Mamcane” zu sprechen und sich zudem auf den gelesenen Bibelvers zu beziehen. Dies dauerte die ganze Nacht und wurde mit Gebeten und Liedern gefüllt.
Die Kirchenmitglieder trugen ein einheitliches Kirchengewand mit Kopfbedeckung und unterstützten die Musik mit einem glockenartigen Instrument und einem „bibelförmigen“ Stoffsack, auf welchen sie schlagen.

In der Zulu-Tradition, d.h. bei jenen die an Vorfahren glauben, kommt der Sarg schon Freitagabend ins Haus (Rundhaus, wenn vorhanden) bzw. Zelt, in welchem die Großmütter schlafen, wenn die Zeremonie nicht die ganze Nacht andauert. Die nächtliche Zeremonie ist identisch und ebenfalls kirchlich, allerdings sprechen sie direkt zur verstorbenen Person als auch zu anderen Vorfahren. Wenn die Zeremonie nicht die ganze Nacht andauert, schlafen die Großmütter im Raum bzw. Zelt, in welchem sich nun der Sarg befindet. Sollte das Familienmitglied verunglückt, d.h. nicht natürlichen Todes, sondern in einem Feuer, bei einem Autounfall oder einer Schießerei verstorben sein, darf der Sarg nicht aufs Grundstück gebracht werden, da sie glauben, dass jener von Unglück befallen war, welches nicht zur Familie zurückkehren solle. In jenem Fall bauen sie das Zelt, in welchem sie den Verstorbenen am selben Abend waschen und kleiden, vor dem „Tor“ auf.

Vor dem Gottesdienst probten wir mit der ganzen Familie Potelwa zwei Lieder, die wir am nächsten Tag an der Beerdigung sangen. Alle Familienmitglieder haben wundervolle Stimmen und die Musik ging einem richtig ans Herzen. Es ist kein Problem für sie einfach mal so dreistimmig zu singen und jeder von ihnen ist in der Lage ein Lied mit Zwischengesängen zu führen, als auch ein Solo über jegliche Melodie zu singen. Als ich sie fragte, wo sie dies gelernt haben, antworteten sie nur: „Ich sing einfach irgend etwas.“ Klingt einfacher als getan. Wie schon so oft gesagt, Musik ist ihnen einfach in die Wiege gelegt worden.

Freitagnacht schlief ich mit Saneles drei Schwestern (afrikanischer Körper, d.h. wenig Platz) in einem Bett. Bewegen war unmöglich. Wir lagen wie in einem Hotdog aneinander gepresst und über die Temperaturen will ich gar nicht erst sprechen. Die nächste Nacht auf dem Boden, selbst ohne Matratze, war himmlisch dagegen.

Sanele schlief die ganze Nacht nicht, da kein Platz zur Verfügung stand. Da Männer und Frauen in getrennten Räumen schlafen müssen und die Mehrheit Frauen waren, die die meisten Räume einnahmen, blieb bis auf zwei Räume für die älteren Herrschaften keine Schlafgelegenheit.

Auch die älteren Frauen und Kirchenmitglieder schliefen nicht, allerdings nicht aus Platzgründen. Man bedenke von Freitagmorgen bis Samstagnachmittag waren sie durchgehend aktiv mit Gesängen und Gebeten. Um fünf Uhr Samstagmorgens kamen sie singend aus dem Zelt, um den Leichenwagen zu empfangen und mit jenem zurück ins Rundhaus zu ziehen. Die Älteren und Kirchenmitglieder versammelten sich im Raum, sangen und beteten. Unter jenen Gesängen und Gebeten betrat nun jeder den Raum und schritt um den Sarg, welcher im oberen Teil geöffnet war. Obwohl ich Saneles Tante nicht kannte, konnte ich meine Tränen kaum unterdrücken, aufgrund des Schmerzes den Sanele und seine Familie empfanden. Ein Raum gefüllt mit einer Menge weinender Menschen ging mir sehr nahe.

Von nun an war eine Zeit der Stille. Jeder war so sehr mit seiner Trauer beschäftigt, dass man kaum miteinander redete. Um 10 Uhr teilte ich das Essen aus. Es gab Innereien mit Brot - der haarige Part ist wirklich lecker ; ).
Anschließend fand die Beerdigungszeremonie im Großen Zelt (für rund 500 Menschen) statt. Im Township findet jene in der Kirche oder Halle (wenn die Kirche für die Anzahl der Menschen zu klein ist) statt. Nach der Zeremonie fahren alle zum Grab, es werden meist bis zu zwei Busse und Minibustaxis gemietet. Alle Autos fahren im Schritttempo hintereinander zum Friedhof. Auf der Farm wird der Mensch allerdings auf dem Grundstück beerdigt und somit findet die gesamte Zeremonie zu Hause statt.

Der Sarg wurde von uns vom Rundhaus ins Große Zelt geleitet. Von nun an standen während der ganzen Zeremonie (von 10 bis 14 Uhr) jeweils vier Kirchenmitglieder um den Sarg, welche sich mit anderen abwechselten. Es war ein sehr heißer Tag, weshalb ich damit beschäftigt war Wasser und Saft auszuschenken. Es wurden Ansprachen gehalten: Nachbar, Familienmitglied, Kirchenmitglied, Freund, als auch “besondere” Personen wie Thabo Mbekis Mutter, als auch ein Pfarrer, der aus dem entfernten Ladysmith anreiste, sprachen über Mamcane und gaben weisende Worte. Wie in jeder Zeremonie wurde zwischen jeder Ansprache ein Lied gesungen. Außerdem gab es musikalische Vorträge, wie unseren Familienchor. Der letzte Beitrag war die Predigt, und die anschließende Danksagung eines Familienmitglieds.

Nach der Zeremonie zogen wir mit dem Sarg zur Grabstelle. Nachdem ein Vers gelesen, der Segen gesprochen und zusammen gebetet wurde, streute ein Pfarrer ein wenig Erde ins Grab und der Sarg wurde herabgelassen.

In der Xhosa Tradition mauern sie ein Grab ...

... Fortsetzung folgt (siehe 9. Rundmail weiter oben)



7. E-Mail von Linda vom Mi 05.03.2008 15:06:

Sanibonani nonke,

ich arbeite jetzt seit fast zwei Monaten mit den Straßenkindern in Durban und habe eine gute Beziehung zu den Kids aufgebaut. Wir sind ein kulturell bunt gemischtes Team von Südafrika über Kenia und Kongo bis nach Deutschland. Seit 2006 arbeitet Martha mit den Kindern und ist mittlerweile wie eine Mutter für sie, welche bis auf wenige Mädchen hauptsächlich Jungen und im Alter zwischen 7 und 19 Jahren sind. In Südafrika sind Straßenkinder, wie in vielen anderen Ländern, hauptsächlich männlich und im Durchschnittsalter 12,9 Jahre. Nur 10% der Straßenkinder sind weiblichen Geschlechts. Viele Mädchen arbeiten außerdem als Prostituierte und entsprechen so nicht mehr dem klassischen Erscheinungsbild eines Straßenkindes.

Es ist unglaublich zu sehen, wie die Liebe eines Menschen und die Liebe Gottes das Leben eines Kindes und jenes selbst verändern kann. Es ist ein Wunder, einen unserer schwierigsten Jungen nach 2 Jahren ohne Droge zu sehen. Er geht mittlerweile zur Schule und erreicht hervorragende Noten. Dank einer Familie, die ihn aufnahm, hat er mittlerweile ein zu Hause. Leider ist dies immer noch einer der seltenen Fälle.
 
Mein Arbeitsplatz ist eine kleine Kirche mitten in einer der gefährlichsten Gegenden Durbans, in denen man sich u.a. bei Dunkelheit nicht aufhalten sollte. In unserer Straße findest du in der einen Ecke ein Bordell und der anderen einen Drogenhändler. Jeden Tag begegne ich Prostituierten und u.a. unseren Kindern, die auf den Bürgersteigen schlafen, um Geld spielen und Klebstoff schnüffeln, welchen man schon aus Meter weiter Entfernung in die Nase bekommt. Über den Geruch in unserer Straße will ich lieber nicht reden.

Außerdem begegne ich den Menschen, die im “Mehrfamilien-Gebäude” gegenüber unserer Kirche wohnen. Ich hätte nicht geglaubt, dass dort Menschen leben, hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen. Das Gebäude ist in einem weniger als menschenunwürdigen Zustand und erinnert mehr an eine Baracke als an ein Haus. Es ist filzig, hat keine Fenster, kein Wasser, keine Elektrizität und keine Toiletten. Zudem ist es das Zentrum für Kriminalität. Einer unserer Jungs sagte heute zu mir: „Selbst wenn du am helligsten Tage hinein gehst, ist es als sei es nachts“.

Wir haben ein tägliches Schulprogramm mit den Kindern und Jugendlichen, die auf der Straße leben, welches Essen und Duschen beinhaltet. Unser Schwerpunkt ist ihnen Werte wie Liebe, Vertrauen, Vergebung, Achtung und Selbstwert näher zu bringen, welche die Kinder in ihrem Leben auf der Straße nicht kennen. Zudem sprechen wir mit ihnen über Hygiene, als auch über ihr Hauptproblem, ihre Sucht nach Klebstoff, welchen wir zu Beginn unseres Schulprogramms einsammeln.

Der Klebstoff (Neopren), den man zum reparieren von Schuhen verwendet, ist eines der meist verwendeten Inhalationsmittel hier in Südafrika, neben Benzin und Leichtbenzin (Wasch- oder Fleckenbenzin). Sie kaufen ihn in kleinen Glasbehältern (Marmeladengläser in Kleinformat). Sie stechen ein Loch in den Deckel, um ihn durch den Mund einzuatmen oder füllen ihn in Plastikflaschen oder leere Milchkartons um. Das Schnüffeln von Klebstoff ist weit verbreitet unter Kindern und Jugendlichen, neben Straßenkindern auch unter solchen, die ein ‘normales’ Leben führen. Ich kann euch nicht sagen, wie viele Erwachsene ich kenne, die in ihrer Jugend Kleber oder Leichtbenzin schnüffelten. Es war modern, wie heute bei uns einen Joint zu rauchen.

Die Droge Klebstoff ist weltweit verbreitet unter Kindern aus unterentwickelten Ländern. Neben dem Schuhkleber existiert der stärkste, der rote Kleber, den unsere Kids allerdings nicht kennen. Klebstoff enthält eine hohe Menge an Toluol, welches auf Dauer zu irreversiblen Gehirnschäden führt. Zurzeit ist der Verkauf von Klebstoff in Durban, d.h. in ganz Südafrika legal. Er wird von einigen Ladenbesitzern schon passend portioniert an Straßenkinder verkauft.

Ich möchte euch kurz schildern, was Kleber bewirkt:
Kleber schnüffeln… hat schlimmere Folgeschäden als Heroin oder Kokain -… unterdrückt Schmerzen und Ängste -… unterdrückt Kälte -… bewirkt Halluzinationen -… bewirkt auf längere Zeit Gehirnstörungen (zerstört das Gehirn Schritt für Schritt) -… macht dich “high” und bewirkt Schwindelgefühle -… kann zu Komas und sogar zum Tode führen -… bewirkt, dass ich wie eine Ente (Thombela) laufe, da alle Glieder wabbelig werden.-... Sphamandla, dessen Spitzname “Sticksweet” (Süssigkeitenfanat) aufgrund seiner verrotteten Zähne ist, saß als Folge des Kleberschnüffelns im Rollstuhl -… bewirkt Verhaltensstörungen -… schädigt den Frontallappen des Gehirn, welcher Bewegungen steuert und kognitive Prozesse so reguliert, dass situationsgerechte Handlungen ausgeführt werden können.
-...  Folgen von Frontallappenschäden ("Frontalhirnsyndrom"):
> Ungenügende Berücksichtigung von Handlungskonsequenzen haften an (irrelevanten) Details Mangelnde Abstimmung auf aktuelle Erfordernisse
> Ungenügende Regelbeachtung und Regelverstöße (auch im sozialen Verhalten) Intelligenz bleibt erhalten, aber schlussfolgerndes Denken und Klassifikationsleistungen sind schlecht Antriebsstörungen
>Störungen der Gedächtnisleistung Störungen der Aufmerksamkeit
-… bewirkt das folgende Körperfunktionen beeinträchtig sind:
Impulskontrolle, Bewertung, Sprache, Erinnerung, Motorik, Problemlösung, sexuelle Interaktion (sobald sie unter Einfluss von Klebstoff eine weibliche, in ihren Augen attraktive Person sehen, wollen und versuchen sie sie überall anzufassen), Sexualverhalten (viele Jungen vergewaltigen die Mädchen, die auf der Straße leben, während sie schlafen, indem sie ihre Kleidung mit einem Messer vom Leib schneiden), Spontanität, Beziehungsfähigkeit (ihr Verhalten ist sehr auffällig und sie haben große zwischenmenschliche Probleme), Planung, Koordination, Kontrolle und Führungsfähigkeit, Komplexität, Lösung komplexer Aufgaben.

Dies erklärt, weshalb wir mit den Kindern nur auf einer ganz einfachen und direkten Art arbeiten können, da sie komplexe Aufgaben, Themen und Anweisungen nicht verstehen oder ausführen können.

Klebstoffschnüffeln kann Depressionen verursachen, da Gefühle von Trauer, Verlangen und Verlust intensiviert werden. Zum Teil werden Aggressionen und Ängste verstärkt. Es führt manchmal zu lebhaften Halluzinationen, die zum Teil als absolut erschreckend empfunden werden. Aufgrund der durch das Klebstoffschnüffeln eingeschränkten Muskelkontrolle und -koordination sind Straßenkinder oft an Unfällen im Straßenverkehr beteiligt. Ein Straßenkind erzählte folgendes: “Wenn ich Kleber schnüffele schlafe ich oft so tief, dass ich nicht leicht aufwache. Letzte Nacht schlief ich in der Nähe des Feuers und wachte auf, als meine Hand im Feuer brannte. Maphathaphatha (ein Wohltäter) brachte mich in ein Krankenhaus.” Viele Straßenkinder haben zudem Kopfverletzungen, entweder als Resultat von Unfällen oder wegen Missbrauchs auf der Straße oder zu Hause.

Die große Mehrheit der Straßenkinder greifen zu Drogen, um das Leben erträglicher zu machen. Straßenkinder machen nur selten Gebrauch von Alkohol oder gefärbtem Spiritus, der von erwachsenen Obdachlosen bevorzugt wird. Die meisten Straßenkinder lehnen Alkohol aus moralischen Gründen ab. Viele machen den Alkoholmissbrauch ihrer Eltern für ihr Straßenleben verantwortlich. Einige der älteren Straßenkinder rauchen ''dagga'' (Marihuana). Welche Droge ein Straßenkind nimmt, wird jedoch letztlich durch den Preis und die Verfügbarkeit bestimmt. Der Gebrauch harter Drogen ist bis jetzt bei südafrikanischen Straßenkindern kein Problem.

Obwohl die Mehrheit der Straßenkinder Drogen nehmen, werden nur wenige davon abhängig, wobei jüngere Kinder mit größerer Wahrscheinlichkeit süchtig werden. Die Kinder behaupten, sie schnüffelten den Klebstoff (''smoking glü'') hauptsächlich, um Kälte, Hunger und Einsamkeit zu vergessen. Dass der Rauscheffekt nur eine untergeordnete Rolle spielt, zeigt sich auch in der Tatsache, dass Kinder in einem Shelter meist nach relativ kurzer Zeit das Klebstoffschnüffeln freiwillig aufgeben.
Um ihre Überlebenschancen auf der Straße zu maximieren, bewegen sich Straßenkinder meist in Gruppen. Eine solche Gruppe besteht in der Regel aus vier bis sieben Straßenkindern und erfüllt verschiedene Funktionen. Eine wichtige Funktion ist die Weitergabe von Informationen über die Möglichkeiten des Gelderwerbs, über die besten Plätze zum Betteln, wo Autos gewaschen werden können oder welche Restaurants und Läden Essensreste verteilen. In der Gruppe werden auch Informationen ausgetauscht, die mit ihrer eigenen Sicherheit zusammenhängt: Welche Gassen zu vermeiden sind, wo man wegen Bettelei verprügelt wird oder wie man am besten der Polizei entkommt. Die Gruppe bildet ein Frühwarnsystem gegen Razzien der Polizei und die Kinder verschwinden innerhalb von Sekunden.

Die Rate unehelicher Kinder in Südafrika ist sehr hoch, für Schwarzafrikaner liegt sie bei 70%. Die Hälfte der Straßenkinder kommt aus zerrütteten Familien. Die meisten unserer Kinder haben eine Familie, sind jedoch von zu Hause weggelaufen, weil ihre Eltern alkoholabhängig waren, sie misshandelt wurden oder ihre Familie zu arm war, um für sie zu sorgen. Nur wenige der Kinder sind Weisen.

Das Ziel der Regierung ist es für die WM 2010 alle Straßenkinder “bei Seite zu schaffen”, um der Welt ein heiles Südafrika, welches nicht existiert, zu präsentieren. Die Verhaftung von Kindern aus nichtigen Gründen ist ihnen dabei eine Hilfe.

Wir beginnen jeden Tag als auch jede Mahlzeit mit dem Vater Unser (in Zulu). Außerdem versuchen wir ihre Lese- und Schreibfähigkeiten aufrechtzuerhalten, indem wir sie z.B. wenige Sätze aus der Bibel oder von unserer kleinen Tafel abschreiben lassen und jene anschließend besprechen. Außerdem machen wir Wortpuzzel mit ihnen, in denen sie die oben genannten Werte einkreisen und raus schreiben.
 
Wir versuchen die Kinder auf vielen verschiedenen Ebenen anzusprechen, weshalb wir neben der kognitiv lehrenden Ebene, mit ihnen musizieren, malen, Volleyball und Fußball spielen oder mit ihnen zum Schwimmen ans Meer gehen. Es ist faszinierend welche Begabungen sie mit sich bringen. Mbuso, einer unserer Jungen, hat letzte Woche einen eigenen Song geschrieben und Sphamandla ist ein hervorragender Zeichner.

Allerdings ist das Ziel unsere Arbeit, den Kindern ein zu Hause zu schaffen. Jedoch war es uns bzw. Marha aus finanziellen Gründen bis zum heutigen Zeitpunkt nicht möglich eine Unterkunft für die Jungs aufzubauen. Ein Heim, welches von der Regierung finanziert wurde und in welchem sie bis Dezember letzten Jahres ein zu Hause fanden, wurde dieses Jahr geschlossen. Somit ist unser dringendstes Interesse, eine Unterkunft, ein sogenanntes “Halfway-House”, für die Straßenkinder zu schaffen, sodass sie unter Betreuung und Leitung vollständig von der Droge “Kleber” rehabilitieren, zu einer Schule gehen und somit in die Gesellschaft reintegriert werden können.

Martha und ich kreieren christliche Karten, welche wir im Sinne der Unterkunft für die Straßenkinder verkaufen. Mein Ziel ist es jene in Deutsch zu übersetzen und ebenfalls zu Hause zu verkaufen. Dies gibt mir die Möglichkeit mein Projekt durchgehend zu unterstützen, auch wenn ich nicht mehr in Südafrika bin.

Zudem benötigen wir dringend Unterstützung, um den Kindern täglich Essen zubereiten zu können. Seit Januar dieses Jahres erhalten wir keine Brotspenden mehr und finanzieren jenes momentan durch uns, den Kirchenmitgliedern. Zudem hat eine Organisation, die den Kindern warmes Essen zubereitete, jenes beendet und sie erhalten dort lediglich trockenes Brot. Deshalb bereiten wir nun täglich warmes Essen für sie zu. Seit Anfang letzter Woche erhalten wir regelmäßige Suppenspenden. Es ist uns ein dringliches Anliegen, zu wissen, dass sie nicht hungern und täglich eine gute Nahrung erhalten.

Außerdem geben wir Essenspenden an Obdachlose oder Familien aus ärmlichen Verhältnissen, welche neben den Straßenkindern Fokus unserer Arbeit sind. Gerade gestern haben wir z.B. eine “Mili-mili-Spende”, 25 Säcke, erhalten, die Grundnahrung afrikanischer Menschen.
Auch unsere Gottesdienste sonntags sind mit Obdachlosen, Straßenkindern und Prostituierten gefüllt. Wir trinken anschließend gemeinsam Tee und geben Brote raus, falls gespendet.

Martha und ich sind auch Teil des Projektes ‘Kids Club’, welches unter “Isinkwa Setheku” operiert, in Zulu: “Brot Durbans”, einer Zusammenkunft verschiedener christlicher Kirchen. Eines unserer Oberhäupter ist ein katholischer Pfarrer (Stephen Tully) der Emmanuel Kathedrale in Durban. Der Fokus Isinkwas ist die Arbeit mit Obdachlosen und Prostituierten, neben unserem Projekt, hauptsächlich mit Erwachsenen. Jeden Donnerstagabend gehen wir von 6 bis 9 Uhr direkt zu ihnen in die Straßen, in denen sie leben.

Neben unserem Schulprogramm ist es das Wichtigste für die Jungs, eine Vertrauensperson außerhalb ihres Straßenlebens zu finden. Unsere Kinder brauchen Liebe und Führung, um ein neues Leben beginnen zu können. Deshalb ist ein Schwerpunkt meiner Arbeit so viel wie möglich mit den Kindern zu reden.
Eine vertrauensvolle Beziehung ist die Basis, um ihnen zu helfen, ein neues Leben aufzubauen.

Allerdings braucht dies viel Zeit...

...die ihr wahrscheinlich auch gerade zum Lesen meiner Email brauchtet.

Ich bin sehr dankbar für euch, die mich in meinem Projekt nicht nur finanziell, sondern vor allem menschlich unterstützt haben. Vor allem das Benefizkonzert hat mir die nötige Kraft und Energie für meinen Südafrikaaufenthalt gegeben. Ihr seid allesamt besondere Menschen und von den Afrikanern, mit denen ich zusammenleben, für eure Solidarität und Großherzigkeit bewundert und geachtet.

Ich schicke euch ein paar afrikanische Sonnenstrahlen nach Deutschland!
Wir haben davon ja wirklich genug ;-)

Eure Linda

PS: Der “Taxi”-Lieferwagen, den ich in meiner letzen Email erwähnte, ist in Wirklichkeit ein “Taxi”-Van. Allerdings war und bin ich mir nicht sicher, ob dies ein deutsches Wort ist. Wenn nicht, nehme man ein Wörterbuch zur Hand und entschuldige mein verlorenes Deutsch. ;-)

 
 
6. E-Mail von Linda vom Di 22.01.2008 16:32:

Sanibonani zonke, Hallo an alle!

Jetzt sind wir schon zwei Wochen in 2008. Ich kann euch gar nicht sagen, wie schnell die Zeit vergeht. Ich hoffe, dass das Neue Jahr voller Hoffnungen und Neuer Kräfte steckt, um Neue Schritte wagen und erträumte Ziele erreichen zu können.

Mein Neujahr habe ich mit der Familie der Schwester meines Freundes Sanele, die in Umlazi (dem Township, in dem ich die ersten Monate wohnte) lebt, verbracht. Außerdem war die Familie von Saneles Bruder zu Besuch. Somit waren wir alles in allem 8 Erwachsene und 8 Kinder, zwei davon von nebenan. Da Buhles Haus sehr klein ist, haben wir uns draußen versammelt und uns Sitzgelegenheiten aus Steinen, Hölzern, Eimern oder Dosen gezaubert. Gegen 21 Uhr haben wir gut gegessen, wonach die Kinder allesamt einschliefen.
Um Zwölf wurde der Song des Jahres gespielt (ab 22 Uhr läuft jedes Jahr am 31. Dezember ein Countdown der besten Lieder) und die Jungs schossen sich gegenseitig mit Feuerwerk ab, weshalb ich gerne Abstand vom Ort des Geschehens hielt. Raketen sieht man hier leider nur selten. Gut eine Stunde später schlummerten wir alle in unseren Betten.

Zum Jahresanfang sind tausende Afrikaner am Strand in Durban. Zulus glauben daran, dass man sich im Meerwasser von Unglück reinwaschen kann. Außerdem trinken sie jenes, um ihren Körper zu reinigen. Für jene Familienmitglieder, die nicht ans Meer kommen können, tragen sie das Wasser in Flaschen nach Hause. In der Nacht zum 1. Januar werden aufgrund der Massen Kinder vermisst und Menschen, Kinder wie Erwachsene, ertrinken, da sie nicht schwimmen können. Dieses Jahr ist Gott sei Dank niemand verunglückt.

Ich hätte euch beinahe einiges an interessanten Dingen vorenthalten, da ich ja nicht das erst Mal in Südafrika bin und ich an so manches einfach schon gewöhnt bin, was für andere Freiwillige ganz spannend und erstaunlich ist. Dazu zählt die Verkehrssituation hier in Südafrika und u.a. das “Taxi-Fahren”. Dies ist immer wieder ein kleines Abenteuer. “Taxis” sind Minibusse (meist von VW), die legal 15 Personen transportieren dürfen. In Realität werden diese allerdings, u.a. an Wochenenden mit bis zu 20 Personen plus Kindern und Einkäufen (nicht nur Einkaufstüten, sondern ganze Türen oder andere Gegenstände dieser Größe) gefüllt.

Im Normalzustand finden nehmen dem Fahrer zwei Personen Platz. Steigt man durch die Schiebetür ein (Achtung! Beim Ein und Aussteigen nicht den Kopf stoßen!) findet man drei Sitzreihen vor:
Auf der hintersten, durchgehenden Sitzbank finden oder sollten vier Personen Platz finden. (Wenn dort schon ein oder zwei afrikanische Frauen mit großen Hinterteilen sitzen, kann es schon mal eng werden.) Auf Langstrecken ist dieser Platz wirklich zu vermeiden, da man hier außer der Personendichte meist den Kopf einziehen muss, um nicht die Decke zu berühren. Auf Dauer sind Kreuzschmerzen vorprogrammiert. Und besonders erfreulich ist es, wenn man das Glück hat, auf der gesamten Strecke einen streng riechenden Mensch neben sich sitzen zu haben. ; ) Die zwei Sitzreihen davor bestehen jeweils aus einer 2-Personen-Bank und einem klappbaren Sitz. Solltest du dich entscheiden auf dem klappbaren Sitz Platz zu finden, musst du davon ausgehen, dass du dich des Öfteren erheben musst, wenn Personen das Taxi verlassen wollen. Außerdem ist die kurze Lehne dieser Sitze meist sehr instabil, was es dir lediglich ermöglicht auf der Vorderkante zu sitzen, um deine Hintermänner nicht zu verletzen. Sollte das Taxi eine scharfe Kurve fahren, kann es zudem schon mal passieren, dass man samt Sitz zu seinem rechten Nachbarn kippt. Ich versuche meist einen Platz zu bekommen, wo ich das Schiebefenster öffnen kann, da die Luft mit vielen Menschen auf engem Raum doch schon mal knapp werden kann.

Taxis sind die “Herrscher” der Straße. Sie haben ihre eigenen Regeln, denen man sich als Autofahrer oder Fußgänger bewusst sein sollte:
- Halten und überholen ist ÜBERALL erlaubt, auch ohne ein Zeichen zu geben.
- “Fußgänger”, was ist das?
- rote Ampeln kann man in den ersten Sekunden problemlos überfahren.
- sollte es mal eng werden oder hat mans eilig, die Hupe ist dein bester Freund

Taxis sind grundsätzlich in Eile, wie man weiß “Zeit ist Geld”, weshalb die Geschwindigkeit oft nicht den Straßen- oder Fahrzeugbedingungen entspricht. Allerdings kann man dies nicht wirklich nachweisen, da eine funktionierende Geschwindigkeitsanzeige eine Seltenheit ist.

Die Bezahlung erfolgt reihenweise, während das Taxi fährt. Nur bei Langstrecken bezahlt man vorher. Man sammelt das Geld in seiner Reihe und gibt es nach vorne, indem man seinem Vordermann die Anzahl der bezahlenden Personen nennt. Sitze ich z.B. in der Rückbank, gebe ich das Geld weiter und sage “Four” (Vier). Es kommt jedoch schon mal vor, dass ich für meinen Mann oder mein Kind in der Reihe vor mir mit bezahle und somit “Fünf” sage. In Clermont geht das Geld direkt an den Fahrer, der es zählt und Wechselgeld rausgibt, bedenke, während er fährt.
Allerdings haben viele Taxis Helfer, um Personen (per lauter Rufe und Handzeichen) einzusammeln und Geld zu wechseln. In anderen Taxis, z.B. von Umlazi, zählt die Person neben dem Fahrer das Geld. (Bei einem Preis von 4.30 Rand kann das schon mal kompliziert werden). Von Vorne wird das Wechselgeld dann nach Hinten weitergegeben, indem man, z.B. für die Rückbank sagt: “Four (vier), 30 Rand (bezahlte Geldsumme)”. Außer “Bathathu” (drei) benutzen sie englische Zahlen.

Minibus-Taxis kann man kaum mit unseren öffentlichen Verkehrsmitteln vergleichen, da sie keine feste Route, d.h. auch keine festen Haltepunkte haben und Personen so ziemlich überall auf- und abladen. Deshalb muss man immer die Augen aufhalten, wo man gerade ist und dem Fahrer rechtzeitig mitteilen, wenn man aussteigen möchte. Dies geschieht, in dem man ihm einen Anhaltepunkt nennt, z.B.”ikhona” (nächste Straßenecke), ”Marktstand” innerhalb des Townships oder “estopin” (Bushaltestelle, Stoppschild) in der Stadt. Im vollen Satz sagt man dann “Ngicela (ein “c” ist in Zulu ein Schmatzgeräusch) uku sala estopin” (Ich möchte an der Haltestelle aussteigen). Eine gute, laute Stimme (davon habe ich ja genug) ist hier nötig, da der Fahrer einen schon mal überhört, wenn man auf der hintersten Bank sitzt und er gerade in Gesprächen vertieft oder die Musik auf voller Lautstärke ist. Wenn man zum ersten Mal an einen unbekannten Ort fährt, sollte man sich am besten neben den Fahrer setzen, um sicher zu gehen, dass man im richtigen Taxi ist und am richtigen Ort abgeladen wird.

In den Städten gibt es “Ranks”, sogenannte “Bahnhöfe” für Taxis. Meist sind dies große Plätze, auf denen Taxis in 5-10 Reihen parken. Jede Reihe steht für eine Gegend. Ist man neu an einem Ort, ist Fragen unerlässlich, da es meist keine Beschilderungen gibt. Jedoch gibt es auch kleine “Ranks”, d.h. einfache Seitengassen (wenn ich von Durban nach Umlazi fahre) oder Straßenränder (wenn ich von Durban nach Pinetown fahre), an denen die Taxis aufgereiht stehen und von welchen die Taxis zu einem bestimmten Ort fahren. Gute Orientierung ist bei dieser Art von Transport unerlässlich.

Diese Art “Bahnhöfe” sind voller Menschenmassen und voller Gemüse- und Obststände, an denen ich meinen Tagesvorrat kaufe und welche mehr als die Hälfte günstiger, als ein Supermarkt sind. Kommt man zu Arbeitsschluss, gegen fünf oder am Wochenende spät abends findet man endlose Warteschlangen an seiner Taxireihe vor. Geduld sollte man immer mitbringen. Für einen deutschen, gestressten Arbeiter wäre dies wahrscheinlich nicht die passende Art von Transport.
An einem Freitagabend vermeide ich später als fünf Uhr von der Arbeit nach Hause zu fahren, da die Kriminalität aufgrund von Alkoholkonsum an jenem Tag sehr hoch ist.

Wenn man mit seinen Monatseinkäufen zum Taxirank laufen muss, kann einem der Weg schon mal ewig vorkommen. Ich sollte einfach lernen, wie die afrikanischen Frauen Dinge auf dem Kopf zu tragen. Es wundert mich, dass sich noch keine den Hals gebrochen hat, wenn sie ganze Baumstämme, Bierkisten etc. auf ihren Köpfen balancieren und sich dabei fröhlich unterhalten oder einkaufen gehen. Zudem ist Durban sehr hügelig, es geht auf und ab. Um zu seinem Haus zu gelangen sollte man meist sportlich sein, da der Weg einem unebenen Wanderpfad gleicht (Naja, das Bergsteigen jeden morgen um mein Haus zu verlassen hält mich auf jeden Fall fit). Während ich mich abmühe meinen Wasserbehälter von hinterm Haus zu meinem Raum hoch zu tragen oder von unserer Steintreppe hoch zu unseres Nachbars Haus, sieht es bei einer 50-jährigen Frau kinderleicht aus, wenn sie einen 50 Liter-Behälter händefrei auf ihrem Kopf unsere Treppen hoch balanciert.

Ein hupendes Taxi signalisiert, dass es Leute einsammelt und man kann es innerhalb des Townships überall anhalten. Dazu gibt es verschiedene Handzeichen: für Pinetown ist es ein nach oben zeigender Zeigefinder; um in eine andere Sektion, z.B. V-Sektion zu kommen, ist es ein V und für Durban eine wellenförmige Handbewegung. Allerdings variieren diese Zeichen von Township zu Township, so ist z.B. in Umlazi ein nach oben zeigender Zeigefinger das Handzeichen für Durban.
Da kann einem schon mal der Fehler passieren, dass man von Clermont nach Durban fahren will, allerdings in Pinetown landet.

Ein weiterer großer Unterschied zu öffentlichen Verkehrsmittel ist, dass Taxis keine festen Abfahrtszeiten haben und es einem schwer machen können, rechtzeitig an einem Termin anzukommen. Fährt man vom Township ab, fährt es solange in jenem herum, bis es vollgeladen ist. Fährt man von der Stadt, dass heißt einem “Rank” (s.u.) ab, wartet man dort bis es gefüllt ist. Das kann jeden Tag unterschiedlich sein. Als ich von Umlazi nach Pinetown fuhr, wo ich in Isipingo umstieg, konnte es schon mal mehr als eine Stunde dauern, bis wir losfuhren.
In Clermont beginnt die Arbeit eines Taxifahrers zwischen 4 und 5 Uhr morgens und endet gegen 17 Uhr, am Wochenende zwischen 19 und 20 Uhr. “Ausgehen” am Abend ist somit ohne Auto unmöglich, sollte man planen nach Hause zurück zu kommen.

Letzte Woche haben wir in der Stadt zu Abend gegessen und waren um 21 Uhr am Rank, wo wir kein Taxi mehr bekamen. Allerdings konnten wir eines der “Lieferwagen-Taxis” (Privatautos, die sich auf eigenes Risiko Geld verdienen) bekommen. Wir saßen mit 15 Personen im Laderaum. Sauerstoff war trotz offenem Fenster keiner vorhanden. Zudem war eine junge Frau so betrunken, dass sie ihr T-Shirt auszog (somit im BH dort saß) und sich auf den Boden erbrach. Da der Lieferwagen in verschiedene Regionen im Township fuhr, waren wir nach mehr als einer Stunde (normalerweise 15 Minuten) zu Hause und ich wusste, dass ich diese Fahrt in einer Email erwähnen sollte.

Es gibt noch die Möglichkeit mit einem Bus zu fahren, allerdings sind diese oft nur in Städten und in Townships zu bestimmten Zeiten zu erreichen und die Fahrtzeit ist um das 4-fache länger. Hat man allerdings nichts Besonderes vor, ist dies eine billige Art von Transport. In indische Busse und in einige Stadttaxis würde ich allerdings mein Kleinkind nicht mitnehmen, da die Lautstärke und Basstöne der Musik ihren kleinen Ohren bestimmt nichts Gutes tun würde. Unterhalten ist hier unmöglich und im Taxi schlägt der Helfer gegen die Tür, um dem Fahrer zu signalisieren, dass er Anhalten soll.

Allgemein sollte man wissen, dass Fußgängerampeln hier selten Verwendung finden. Es ist nicht verwunderlich das Menschen, die Autobahnen überqueren, keine große Sache darin sehen, eine Hauptstraße zu kreuzen.

Dass Autos oder Taxis hier in Südafrika ÜBERALL liegen bleiben, was in Deutschland wahrscheinlich direkt einen Unfall zur Folge hätte, ist hier Alltag. Als Fahrer in Südafrika ist man aufgrund von Taxis und einer Übermenge an alten Autos in sehr schlechtem Zustand auf alles vorbereitet und immer bereit ein Auto aus dem Weg zu schieben.
Eine interessante, für mich Neue Verkehrsregel, gilt hier an Kreuzungen ohne Ampeln, d.h. mit 4 Stoppschildern, nicht wie bei uns mit Vorfahrtsschildern: “Wer zuerst kommt, fährt zuernst.”, kein Rechts-vor-Links, keine Abbiegeregeln. Hat mich zuerst völlig verwirrt und geschockt, aber es funktioniert einwandfrei.

“Hiking” (“Anhalter”) ist hier eine gebräuchliche, überraschender Weise oft schnellste und u.a. die billigste Art von Transport (wie eigentlich überall). Es gibt feste Anhalterpreise für jede Strecke, die jene Fahrer, die Personen mitnehmen in der Regel kennen.

Wenn ich zur Arbeit fahre, gehe ich jeden morgen zur nächsten Straßenecke, da dort die meisten Taxis an mir vorbeikommen. Mbembes Shop ist direkt neben meinem “Warteplatz” und sollte es mal etwas länger dauern, bis ein Taxi kommt, halte ich mit ihm und seinen Freunden einen kleinen Plausch. Für die Schüler, die Fabrikarbeiter, die zur Arbeit laufen und jeden anderen, der an mir vorübergeht, bin ich jeden Morgen eine Attraktion. Das Wort “Umlungu” (Weiße) höre ich im Minutentakt und egal wohin ich gehe, ich kann davon ausgehen, dass ich von einer männlichen Person angehalten werde. Ich hoffe ja immer noch, dass sie sich mit der Zeit an mich gewöhnen, aber das scheint viel Zeit zu brauchen. Man kann es die ersten Wochen als etwas besonderes Empfinden, dass jeder auf dein Erscheinen reagiert, aber mit der Zeit ist “Berühmt sein” doch sehr ermüdend, da du dich den ganzen Tag beobachtet fühlst und vor allem nie wirklich gleichwertig behandelt werden wirst. Man ist und bleibt anders.

Zurzeit lese ich so viel wie möglich, da wir ständigen Elektrizitätsausfall haben.
Dann nehme ich mir meine Kerze zur Hand und entspanne mit meinem Buch auf meinem Bett.
Ich bin immer wieder erleichtert, wenn ich das Kochen grade zu Ende gebracht habe, wenn der Strom aus ist. Jedoch führt es meistens dazu, dass ich mich mit kaltem Wasser waschen muss, was an einem heißen Tag allerdings kein Problem ist.

Zudem haben wir einen Rohrschaden und können nur einmal am Tag den Wasserhahn öffnen, um Wasser für unseren Raum und die Familie, u.a. für die Toilette in Behälter zu füllen. Deshalb darf die Toilette nur für “Nummer 2” verwendet werden, ansonsten muss der “Eimer”/”Nachttopf” herhalten. Über den Geruch im Haus nach dem Rohrbruch will ich lieber kein Wort verlieren.

Ab Montag werde ich in einem Straßenkinderprojekt arbeiten. Martha (24) aus Kenia arbeitet mit rund 35 Kindern und kann meine Hilfe gut gebrauchen. Den Samstag vor Heilig Abend haben wir uns mit den Kids in einem Park getroffen und eine kleine “Weihnachtsfeier” zelebriert. Wir haben zusammen gesungen und gebetet. Es gab warmes Essen, T-Shirts, Gebäck und ein paar Süßigkeiten. Zu Beginn sammelten sie ihre Kleberbehälter in einem Karton, der für alle sichtbar war (damit sie sehen, dass sie ihn wieder bekommen), zusammen, da sie während der Feier nichts schnüffeln sollten. Da die meistens Kids von Kleber abhängig sind, kann man sie meist nicht länger als eine, höchstens zwei Stunden zusammen halten. Die Überwindung der Sucht ist Ausgangspunkt unserer Arbeit, um die Kids wieder in die Gesellschaft einzugliedern.

Unser Treffpunkt ist eine kleine Kirche mitten in Durban. Da meine Arbeit dort gegen 1 Uhr zu Ende ist, kann ich anschließend im Dream Centre arbeiten. Ich denke allerdings, dass ich mir wenigstens einen Tag fürs Krankenhaus freihalten werde. Sobald ich mich richtig eingearbeitet habe, lasse ich euch Näheres über meine Neue Arbeit wissen.

Bis dahin
Nisale kahle bangane makhaya!

Eure Linda

PS: Ich habe mich riesig gefreut, als Ntathu mich vor einem Monat bat, Patin für ihren Sohn Njabulo, bei dessen Geburt ich dabei gewesen bin, zu werden.
 
 
 
5. E-Mail von Linda vom Sa 22.12.2007 07:55:

Sanibona bangane makhaya,
Hallo an alle zu Hause (Deutschland),

wie versprochen werde ich euch heute von der sehr erlebnisreichen Hochzeit der Schwester meines Freundes am 10. November erzählen. Am besten liest es sich mit einer heißen Tasse Tee oder Kaffe auf der Couch oder vorm flackernden Kamin.

Eine Woche, den Sonntag, vor dem eigentlichen Ereignis sind wir nach Ladysmith (etwa drei Stunden entfernt) gefahren, um seiner Familie bei den Vorbereitungen zu helfen. Eine Woche lang haben wir uns mit 20 Menschen, inkl. 8 Kindern vier Räume, d.h. zwei Schlafräume, Küche und Wohnraum á 4m x 2,5m geteilt. Somit lagen wir auf dem Boden verteilt und die Betten waren mit Minimum drei Erwachsenen plus zwei Kinder gefüllt. Dass bloß eine Toilette existierte, konnte auch schon mal zum Problem werden.

Die komplette Woche bis zur Hochzeit war die maximale Portion an Schlaf vier Stunden. Spätestens um 5 Uhr bin ich jeden morgen mit den anderen vier Frauen (den drei Ehefrauen der Söhne des Hauses, sog. “Makhotis” und der zukünftige Ehefrau) aufgestanden, um Porage (Maisbrei) vorzubereiten und den zwei älteren Frauen inkl. Mutter des Hauses (beide um die fünfzig Jahre) Tee und Brot zu servieren. Anschließend haben wir das Haus gereinigt, um um 10 Uhr den Maisbrei zu servieren. Danach begannen wir zu kochen, welches bei rund 30 Personen, d.h. uns und den zahlreichen Besuchern und Helfern, die während des Tages eintrafen, etwas mehr Zeit benötigte.

Zu spülendes, dreckiges Geschirr war bei dieser Anzahl von Menschen den ganzen Tag vorzufinden. Saubermachen nimmt bei dreißig Menschen und v.a. 8 Kindern einfach kein Ende. Putzen kann da schon deprimierend sein. Eine viertel bis halbe Stunde später denkt man, man hätte nie gewischt. Hinzu kam, dass es die ganze Woche (außer am Wochenende, an dem uns die Sonne den Rücken verbrannte) regnete, was die Situation nicht gerade verbesserte.

Bis zur Hochzeit war unser Hauptaufenthaltsort die Küche, in der es mit fünf bis zu acht Frauen und mehr schon mal eng werden konnte. Neben Kochen, Saubermachen etc., waren wir die ganze Woche mit Backen beschäftigt. Fünf 10 Liter Eimer haben wir zusammengebracht. Während sich die anderen um den Ofen kümmerten, bediente ich die “Kurbelmaschine”, da ich neben der zukünftigen Ehefrau, Maneli, die einzige “Frau” war, die daraus schöne Biskuits zaubern konnte.

Den anderen zerbrachen die Halbkreise leider stets in den Händen.

Den Mittwoch vor der Hochzeit fand für Maneli und ihre zukünftige Ehe ein Gottesdienst bei uns zu Hause statt. Mit 30 Personen haben wir unser 4m x 2,5m Wohnzimmer gefüllt. Nachdem für die Braut gebetet und gepredigt wurde, betete der Pfarrer für jeden einzelnen von uns, in dem wir uns jeweils vor ihn knieten und er uns seine Hände auflegte. Dies war ein sehr bewegender Moment für mich, obwohl ich kaum etwas von seinem Gebet für mich verstanden habe, da er Zulu sprach. Aber allein die Energie, die von ihm ausging, die Gefühle, die im Raum waren und die Emotionen, die in diesem besinnlichen Moment aufkamen, haben mich sehr stark berührt, weshalb ich mich anschließend erst einmal für ein paar Minuten zurückgezogen habe. Wie bei jedem Gottesdienst haben wir nach dem Segen das letzte Lied gesungen, während welchem wir aus dem Haus (normalerweise der Kirche) gehen und uns vor jenem im Halbkreis versammeln, um jedem die Hand zu schütteln und anschließend, oft nach ein paar kurzen Unterhaltungen, nach Hause zu gehen.

Donnerstags bin ich mit den Männern der Familie zu einer Farm gefahren, um die zu schlachtende Kuh zu holen. (Es ist eigentlich nicht üblich, dass Frauen mitfahren, aber da ich deutsch bin, wollten sie mir unbedingt eine echte Farm zeigen). Eine Gegend abgelegen von jeder Zivilisation in mitten der afrikanischen Baumlandschaft, umrundet von Bergen. 5 Zulu-, d.h. Rundhütten mit Strohdächern und ein großer Tank von dem die Familie ihr Wasser holt. In anderen Farmen sind diese Tanks oft Kilometer weit entfernt und die Frauen tragen ihre 25 oder 50 Liter-Behälter Wasser auf dem Kopf nach Hause. (Mich wundert es, dass sich dabei noch keine ihr Genick gebrochen hat). Hier gibt es keine Elektrizität und die Kriminalität ist aufgrund von “Kuhraub” sehr hoch. Den Familien werden reihenweise Kühe gestohlen, welche hier in Südafrika sehr preiswert und mit das teuerste an einer Hochzeit sind. Außerdem werden für eine ganze Anzahl von anderen traditionellen Zeremonien Kühe benötigt, wie z.B. für Beerdigungen. Man zahlt zwischen 5000 und 8000 Rand für eine Kuh, bei einem Monatsgehalt von durchschnittlich 1000-1500 Rand. Die Kühe werden frei gehalten. Es existieren keine Ställe, wobei ich mich allerdings gefragt habe, wie sie ihre Kühe finden und organisieren. Außerdem haben wir eine Ziege besorgt, die Donnerstagabend vorm Haus für den kommenden Abend geschlachtet wurde.

Die Hauptarbeit begann Freitagmorgen. Die Kuh wurde von den Männern der Familie (an die 15) vorm Haus geschlachtet (Wie gesagt, jeder Afrikaner ist ein gekonnter Schlachter). Messer und Axt waren ihre Hauptwerkzeuge. Sie mussten sie schon auf dem Wagen töten, da die Kuh an Menschen nicht gewöhnt war und somit von der Menge verschreckt und wild wurde. Nachdem das Blut aufgefangen wurde, hielten jeweils zwei Männer die Beine, während die anderen die Haut abzogen, um anschließend Arme und Beine abzutrennen, welche sie im Shack (Wellblechhütte) hinterm Haus aufhingen. Alle 10 Minuten sah man einen Mann hinters Haus rennen, da ein Fleischstück dieser Größe doch schon ein paar Kilo wiegt. Während dessen grillen zwei der Männer das Nackenstück, was meiner Meinung nach das beste Stück Fleisch der Kuh war und ist, dass ich jemals gegessen habe – zart, saftig und ohne jegliches Fett. Anschließend brachen sie die Rippen, um sie zu “Sparrips” zu schneiden, d.h. eher zu hacken.

 Nachdem dann auch der Magen raus war, begann unsere Arbeit: Innereien waschen.

Es brauch ein bisschen, aber mit der Zeit gewöhnt man sich an den strengen Geruch. Man entfernt das “Gras”, d.h. die Füllung des Magens, schneidet ihn in Stücke und wäscht diese mit klarem Wasser. Außerdem haben wir den Darm, die Leber, das Herz, die Lunge und die Nieren geschnitten und gereinigt. Das Säubern der schlauchförmigen Darmstücke ist mit einer Wasserschlacht vergleichbar, da das Wasser, das man oben einlaufen lässt unten wieder “rausläuft”, d.h. aufgrund des Drucks eher raus spritzt während sich der “Darmstückschlauch” in alle Richtungen dreht.

Ich kann jedem raten, der einmal Innereien probieren möchte, diese vorher zu waschen, da ich seitdem keine Probleme mehr habe sie zu essen. Ich habe mich an den Geruch gewöhnt habe und weiß nun was ich esse, auch wenn nicht alles gleich gut schmeckt. Ich bevorzuge den Magen, den haarigen Part ;), nicht den glipprigen Darm.

Die Innereien haben wir nun in einem “Hexenkessel” über einem Feuer hinterm Haus gekocht, welches nach kurzer Zeit von unseren “Schlachtern” verspeist wurde. Außerdem haben die zwei “Großmütter” schon mittwochs, ebenfalls über der Feuerstelle, “Amahewu” gekocht, Maisbrei (Porage), den man sauer und kalt werden lässt. Nach drei Tagen serviert man ihn als Getränk. Amahewu geben sie dir hier, sogar in Kliniken, wenn du krank bist und keine feste Nahrung zu dir nehmen kannst. Wir tranken es noch bis zu 2 Wochen nach der Hochzeit.

Den Rest des Tages, d.h. von morgens um 5 Uhr bis 4 Uhr nachts (manche Frauen, die erst freitags kamen, um zu helfen, schliefen gar nicht) verbrachten wir damit, Gemüse zu schnippeln, Karotten zu schälen und in feine Streifen zu schneiden (diesen Job mochte ich gar nicht), rote Bete, Kürbisse, Paprika und Zwiebeln klein zu schneiden, um für die komplette Hochzeitgesellschaft am nächsten Tag zu kochen, d.h. rund 300 Gäste.

Der schöne Teil des Freitagabends war die Ankunft der Familie des zukünftigen Ehemanns. Um auf unser Grundstück gelassen zu werden, musste die Familie des Mannes singen und tanzen, was wir ebenfalls mit Gesängen und Tänzen beantworteten. “Sthe uyamthanda. Uthe uyamthanda. Shata naye!” “Sthe (Name des Ehemannes) du liebst sie, du sagtest du liebst sie, heirate sie!”; “Sangena!” ”Wir kommen herein!” Sobald wir sie eingelassen hatten, kam es zum sogenannten “Kampf” oder eher “Gerangel” der Familien, wie ich es euch schon bezüglich des Membesos beschrieben habe. Sobald sich die Familie vorm Haus niedergelassen hatten, da man in einem rund 40m x Xm Haus niemals 100 Menschen unterbringen kann, servierten wir ihnen Essen – Pap und Ziegenfleisch; jeweils in größeren Schalen, von denen an die 5 Leute essen.

Die Hochzeitszeromonien sind normalerweise mit einem großen Alkoholkonsum verbunden, da die Familie meines Freundes jedoch sehr christlich ist (der verstorbene Vater war Pastor) ist auf ihrem Grundstück Alkohol untersagt, was mir sehr entgegenkam, da ich herum torkelnde, anhängliche und ekelhaft riechende Männer wirklich nicht gebrauchen konnte.

Jedoch fand man vorm Haus, auf dem Weg sitzend, Männer und junge Kerle, die dort die ganze Nacht singend und trinkend verbrachten. Die Familie des zukünftigen Ehemannes (nur an die 10 Personen, alle wäre viel zu viel) übernachtete im Haus. Der Familie des Mannes ist es erst gestattet, das Grundstück der Ehefrau zu verlassen, wenn sie die Braut nach der Hochzeit mit zu ihrem Haus nehmen.
Nachdem wir, die Frauen des Hauses, immerhin zwei Stunden Schlaf bekamen, wartete am nächsten Morgen eine ganze Menge Arbeit, d.h. Saubermachen, auf uns. Zuerst mussten wir allerdings dafür sorgen, dass die Familie des Mannes, die “Makhatinis”, einen gesättigten Magen bekam. Wir servierten ihnen Tee bzw. Kaffee und selbstgemachtes, leicht süßliches Hefebrot, welches wir die Tage zuvor vorbereitet hatten (köstlich!). Anschließend säuberten wir das Haus. Um 9 Uhr fuhr ich zur “Kirche”, ein ca. 6m x 10m Raum mit Holzbänken, um die Akustik zu testen, da ich später, auf Wunsch der Braut, “The Rose” sang, als sie mit ihrem ältesten Bruder (ihr Vater ist vor 4 Jahren an Diabetes gestorben) zum Altar schritt.

Ich musste mich nun beeilen, um zurück zu sein, wenn sie Maneli (die zukünftige Ehefrau) aus dem Haus führten. Den Moment als sie aus der Tür trat, fingen alle an zu singen, die Frauen jubelten bzw. machten das bestimmte ziemlich hohe Geräusch zum Zeichen der Freude “lililili...”, während die Männer eine Art Horn geblasen haben. Unter langem Hupen fuhr das Auto des Ehepaares zur Kirche.

Der Gottesdienst hier ist ebenfalls ein riesiges Fest. Im Gegensatz zu einer deutschen Kirche, in der die Stille Atmosphäre hervorruft, wird hier gejubelt, gesungen, getanzt und auf die Worte des Pastors mit Amen und Hallelujah reagiert. Die Trauzeugen betreten tanzend die Kirche, es folgte der Ehemann ebenfalls tanzend und zum Schluss die Braut, die würdevoll zum Altar schreitet, während der Rest der Kirche in Freudengetöse ausbricht. Bis zum Moment des Kusses trägt die Frau einen Schleier. Nach dem Austausch der Ringe, der Unterzeichnungen der Dokumente, welche hier in Südafrika in der Kirche stattfinden, und der Predigt des Priester, verlässt das Ehepaar samt Trauzeugen und Blumenkindern unter Jubelgesängen, nun gemeinsam tanzend, die Kirche. Die gesamte Gemeinde folgt singend und ebenfalls tanzend (egal welchen Alters).

Nachdem Fotos geschossen wurden, geht es weiter zur “Festhalle”, wo gegessen wird.

Die Frauen der Familie, auch die Mutter, sehen die Trauung überhaupt nicht. Die Mutter muss für weitere Besucher das Haus hüten und die anderen Frauen sind beschäftigt am Ort der Festhalle zu kochen. Diesmal waren es so viele Gäste, dass sie nicht mal alle in der Halle Platz fanden und eine ganze Menschenmenge um die Halle herum verteilt saß, sodass wir leider nicht alle satt bekamen. Nachdem gegessen wurde, hielten Familienmitglieder, Freunde etc. Ansprachen und kleine Aufführungen wie Tänze und Gesänge wurden veranstaltet.

Ich habe mit einem kleinen Chor aus 5 afrikanischen Mädchen (alle um die 10 Jahre) “I will follow him” aus Sister Act gesungen. Ich war die weiße Whoopie ;) und hab mich auf einem Stuhl zurückgezogen, da ich fast zwei Köpfe grösser als die Mädels bin und ich das Augenmerk auf sie richten wollte. Die fünf waren riesig. Die Gäste und das Brautpaar waren begeistert und haben unsere Aufführung mit afrikanischem Getöse bejubelt.

Nachdem das Programm vorüber war, wurde der Kuchen angeschnitten, Maneli warf ihren Brautstrauß und das Ehepaar verließ mit ihren Trauzeugen tanzend die Halle. Nun ging es zurück nach Hause, wo wir für jene Menschen, die nicht an der Zeremonie teilnehmen konnten dem Brautpaar singend und tanzend die Straße rauf und runter folgten. Wiederum mit Jubelgesängen wurden wir von der ganzen Nachbarschaft begrüßt.

Zurück im Haus fing Maneli an ihre Sachen und die ihrer 2 Kinder (ihres 2 Jahre altem Sohnes Ntsizwa und ihrer 10 jährigen Tochter Zama, die mit ihren Freunden meinen Chor bildete) zu packen, da sie nun von ihrem Ehemann mit zu dem Haus der “Makhatinis” genommen wurde. Dies war der Abend an dem sie aus ihrem Zuhause auszog, um von nun an bei einer neuen Familie zu leben.

Buhle, ihre ältere Schwester, rührte dies zu Tränen, sowohl aus Freude, dass ihre Schwester jetzt wirklich verheiratet war, aber auch, aus dem Bewusstsein, dass sie ihre Schwester nun nicht mehr vorfinden werde, wenn sie ihr zu Hause besucht. Ihre Brüder zogen sich zu diesem Zeitpunkt unauffällig zurück, um gar nicht erst Tränen zeigen zu müssen. Für die Mutter der Braut war es ebenfalls ein sehr bewegender Moment, da neben ihrer Tochter ihre Enkelkinder, die sie großzog und die jahrelang bei ihr lebten, nun das Haus verließen. Hier in Südafrika lebt man bis zu seiner Hochzeit im Haus seiner Eltern, d.h. meist bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr oder auch länger.

Ungefähr gegen 9 Uhr, nachdem die Familie des Mannes rund zwei Stunden lang in Form von Gesängen Maneli mitteilte, dass es Zeit sei zu gehen und uns, die Familie, bat, sie freizugeben, haben wir sie zu den Makhatinis gebracht.

Als wir bei jenen ankamen, fand die gleiche Zeremonie, wie am Freitagabend statt, allerdings haben wir, als Familie der Braut, um einiges mehr gesungen und getanzt. Wir wurden mit Fackeln begrüßt und sangen eine ganze Zeit vorm Tor (“Sesifikile, sifikile yithi o makoti”, “Lasst uns kommen, wir kommen als Familie der Braut”... ”s'vulele sengene” “öffnet, damit wir eintreten können”...) bis wir rein gelassen wurden, um dort bis zu einer Stunde singend zu tanzen (“Zulutanz mit Beinewerfen”) und uns mit der Familie des Mannes zu messen (der sog. Kampf). Dies hat so viel Spaß gemacht und Freude bereitet, dass ich sogar in der Lage war in dieser Zeit meine schmerzvollen, auf Nadeln gebetteten Füße zu vergessen. Danach haben wir Pap und Innereien gegessen und dazu Amahewu getrunken. Lecker war's. Ungefähr um 12 Uhr nachts waren wir zurück zu Hause und sind alle wie ein Stein ins Bett gefallen.

Sonntagmorgen um 11 Uhr begann die traditionelle Hochzeit. Die Zeremonie hat viele Gemeinsamkeiten mit dem Membeso. Zuerst brachten wir Maneli vom Grundstück weg (in früheren Tagen gab es keine weiße Hochzeit, dass heißt die Braut wurde nur einmal gebracht), um sie später samt der Geschenke zur Familie ihres Ehemannes zu bringen. Singend und tanzend, Decken, Matten, Krüge und die Kommode des Schlafzimmers tragend, tanzten und sangen wir als Familie der Braut durchs Township, bis wir das Grundstück des Mannes betraten und uns vorm Haus auf der Wiese versammelten. Die Braut setzte sich in ihrer traditioneller Hochzeits-Kleidung mit ihren Trauzeugen auf eine Strohmatte, während der Rest der Leute drum herum saß. Nun wurde der Ehemann ebenfalls von seiner Familie mit Gesängen zum “Schauplatz” gebracht und ließ sich samt seiner Trauzeugen auf Stühlen in der Mitte nieder. Die Geschenke wurden an seine Familie gegeben, wie ich schon bezüglich der Membeso-Zeremonie beschrieben habe. An diesem Tag waren es hauptsächlich Strohmatten, Kopfkissen (die die Mutter meines Freundes Wochen zuvor reihenweise selbst angefertigt hat) und Decken, d.h. Koltern, als auch traditionelle Krüge, in denen Afrikaner ihr “Zulubier” ausschenken. Der Beschenkte hatte sich jeweils auf die Matten samt Kopfkissen gelegt, um sich mit seiner Kolter zudecken zu lassen. Bevor alles wieder eingepackt wurde, stimmte jener ein Lied an und tanzte dazu.

Zum Ende hin, und hier ist die kleine Verschiedenheit, wird das Schlafzimmer des Ehepaares vorm Haus aufgebaut. Der Ehemann muss sich ins Bett legen, um von den weiblichen Trauzeugen (in SA haben Mann und Frau meistens jeweils 3 Trauzeugen) “Tee” serviert zu bekommen. Allerdings bedeutet dies nicht, dass er wirklich Tee serviert bekommt, sondern alle Zutaten, die für einen Tee benötigt werden, d.h. Zucker, Milch, gegeben falls auch Butter, welche man aufs Brot schmieren würde und Seife, mit der er sich waschen würde, verteilen sie auf seinem Kopf (sollte er kurze Haare haben, ansonsten auf der Stirn). Eine schöne “Schweinerei”. ;) Nachdem das Schlafzimmer wieder weggeräumt wurde, hält der Vater der Braut, in unserm Fall, der älteste Bruder eine Ansprache und dann wird gegessen. Gegen 4 Uhr ist die Hochzeit vorüber. Die Männer, die während der ganzen Zeremonie hinterm Haus, an der Straße oder an verschieden Ecken mit trinken beschäftigt sind, zelebrieren jene allerdings noch bis in die Nacht hinein. (die “Makhatinis” folgen sehr stark der Zulutradition und sind weniger christlich, weshalb sie Zulubier zubereiteten und Alkohol gestatteten).

Falls ihr euch wundert, ja, in Südafrika findet mittlerweile eine weiße Hochzeit statt, aufgrund des westlichen, v.a. amerikanischen Einflusses, als auch wegen des christlichen Glaubens. Jedoch ist die traditionelle Hochzeit sonntags immer noch ein unerlässlicher Teil.

Montagmorgen war das Haus ungewohnt leer und still. Nachdem am nächsten Tag beide bereits verheirateten Schwestern meines Freundes samt Ehemann und Kindern das Haus verließen, waren bloß ich, er, seine jüngste Schwester und die zwei Großmütter übrig.

Eine weitere Woche habe ich für den Haushalt inklusive Kochen gesorgt und mich um die zwei, nur Zulu sprechenden “Mütter”(jede älter Frau hier spricht man mit “Mutter, Ma” an) gekümmert, welche beide krank waren bzw. sind. Die Mutter meines Freundes hat Diabetes und einen Herzfehler, weshalb sie oft ganze Tage und Wochen im Bett verbringt. Die Schwiegermutter des Bruders meines Freundes hat einen Gehirntumor, welcher erst Ende dieses Jahres diagnostiziert wurde und im Januar raus operiert wird. Seit 2003 konnte kein Arzt feststellen, woran Sire erkrankt war. Eines ihrer Augen steht und stand schon hervor und sie verschrieben ihr bloß eine Brille und Kopfschmerztabletten. Sie leidet unter unerträglichen Kopfschmerzen und sitzt oft den ganzen Tag im Wohnzimmer ohne ein Wort zu sprechen mit einem schmerzerfüllten, von ihren Händen gefassten Gesicht. Da ich mir mit ihr ein Bett teilte, habe ich ihre wehleidigen Geräusche gehört, die sie nur von sich gab, wenn sie schlief.

Du findest hier in Südafrika keine Frau, die sich bei Bewusstsein beklagt bevor es nicht lebensbedrohlich ist - und manchmal selbst dann nicht. Außerdem bewegte sie sich nachts sehr stark, weshalb mir oft nur ein Spalt im Bett blieb. ;). Beide Mütter haben keine ordentliche medizinische Versorgung, da sie arbeitslos und somit ohne Krankenversicherung sind.

Es fiel mir sehr schwer, die zwei zurückzulassen, da nachdem mein Freund und ich nach Johannesburg fuhren, um mein Ticket auf den 22. April zu verlängern, nur noch seine jüngste Schwester mit ihnen lebte, die allerdings den ganzen Tag aufgrund ihrer Arbeit abwesend war und ist. Mir blieb jedoch nichts anderes übrig, da meine Umbuchungsfrist ablief und meine Hand auf Anfragen von Vincent, dem Sozialarbeiter im Dream Centre, auch wieder in Durban gebraucht wurde. Nach ganzen drei Wochen war ich wieder in der Klinik, wo ich mit offenen Armen empfangen wurde.

Alles in allem habe ich einiges an südafrikanischer Kultur, v.a. bezüglich der Rolle der Frau, in diesen Wochen gelernt. Hier in Südafrika ist stets strikte Geschlechtertrennung, was Aufgabenverteilung angeht. Auch stehen z.B. die Sitzplätze im Wohnraum zu aller erst den Männern zu Verfügung, weshalb wir meist im Stehen in der Küche essen.

Jedoch gefiel es mir sehr gut, wie lebendig man hier eine Hochzeit wahrnimmt. Die ganze Familie, nicht bloß das Ehepaar ist in Planungen, Aufgaben und Finanzierung involviert. Außerdem findet ein großer Teil der Hochzeit in den Häusern der Familie statt. Die lebendigen Zeremonien führen einem deutlich vor Augen, dass die Frau ihre Familie verlässt und Teil der Familie des Mannes wird. Aufgrund der Arbeit und der Zeitspanne, die hier mit einer Hochzeit verbunden ist, spürt man, dass Heiraten eine große Sache, eine große Entscheidung ist, die Veränderungen in dein Leben bringt und die man für den Rest seines Lebens trifft.

Ihr seid wahrscheinlich alle grade im Weihnachtsstress und in dicke Winterjacken eingemummelt.
Um ehrlich zu sein, ist es mir gar nicht bewusst, dass es in einigen Tagen so weit ist. Weihnachtliche Musik, besinnliche Gottesdienste, Adventskranz und Kerzen sind hier Fremdwörter. Zudem kommt man bei 30 Grad nicht gerade in Weihnachtsstimmung.

Jedoch sind das Familienbeisammensein und ein gutes “Festmahl” auch hier üblich, auch wenn dieses Weihnachten sehr wahrscheinlich nur ein kleiner Teil der Familie anwesend sein wird:
die zwei kranken Mütter, mein Freund, seine Schwester und ich. Mein erstes Weihnachten ohne Kinder.

Ich würde mich schon gerne an heilig Abend nach Hause beamen. Für mich ist Weihnachten ein Fest der Familie und ich habe meine ja doch eine ganze Zeit lang nicht mehr gesehen. Ich liebe die Stunden, die wir nach einem besinnlichen Weihnachtsgottesdienst gemeinsam vorm Kamin verbringen, Weihnachtslieder singend, Kekse naschend, leuchtende Kinderaugen belächelnd, während ich die Tasten meines Klavieres, dass ich unheimlich vermisse, “streichele”, um mich auf ein exzellentes Abendessen zu freuen.

Während ich noch ein bisschen weiter von Heilig Abend träume, .......
(ich war sehr glücklich, als ich gestern die englische Version von Stille Nacht auf einem Zettel entdeckt habe, vielleicht kann ich es am Dienstag, da es hier kein Heilig Abend gibt, immerhin alleine singen, es gehört einfach dazu) wünsche ich euch ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest!

Lasst eure Seele “baumeln” und genießt die Zeit mit euren Familien!

“Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.”

Sinifesela Ukhisimusi Omuhle! (Frohe Weihnachten!)

Linda
 
PS: Der zum Praesident kandidierende, der ANC-Partei angehoerende Mann, den ich euch in meiner 3.Mail beschrieb, der im Lederschuertzchen tanzend am “Heritage Day” teilnahm, ist gestern zum Praesident gewaehlt worden. Sein Einsatz hat sich gelohnt. ; ) Die ganze Nacht fand ein Jubelgetoese mit Gesaengen und Horngeblase statt. Sein Name ist uebrigens Jacob Zuma, ich verschrieb mich damals.
 
 
 
4. E-Mail von Linda vom Fr 30.11.2007 12:51:

Sanibona!

Ngixholisa (Entschuldigt), dass ich solange nichts mehr von mir hören habe lassen. Ich war 2 Wochen in Ladysmith aufgrund einer Hochzeit und für ein paar Tage in Johannesburg, um mein Ticket auf April nächsten Jahres zu verlängern. Da ich nicht an meinem Arbeitsplatz war, hatte ich keinen Zugang zu Internet.

Leider sind die meisten meiner Patienten in der Zeit meiner Abwesenheit gestorben, wie Pinky und Princess, von denen ich euch in meiner letzten Email erzählt habe. Thabsile schenkte mir, bevor ich ging, ein Armband als Dankeschön, dass ich ihre Haare machen ließ. Sie ist ebenfalls nicht mehr im Dream Centre. Allerdings wurde sie entlassen. Außerdem war ich überrascht, als ich einen Jungen von 15 Jahren sah. Es ist der erste Patient, den ich kenne, der ein Kind ist.

Ich will euch heute hauptsächlich ein Erlebnis schildern, das mich sowohl positiv als auch negativ bewegt hat und welches mir sicher in Erinnerung bleiben wird. Außerdem will ich euch ein wenig von der Familie erzählen, bei der ich das Zimmer miete, d.h. mit der ich sozusagen "zusammen", d.h. unter demselben Dach lebe.

Vor genau einem Monat war ich dabei, als Ntathu, die Tochter der Familie, ihr Kind zur Welt brachte. Der Moment, in dem der kleine Junge geboren wurde, war unbeschreibbar. Eine Minute zuvor eine schreiende Mutter und ein dicker Bauch und dann, kurze Zeit später, ein kleiner, aber vollkommener Mensch, der zum ersten Mal Licht sieht und der schreit und strampelt, als wär das nichts Neues für ihn. Den kleinen, wirklich süßen Jungen (Njabulo) in den Armen zu halten, fühlte sich sehr gut an, vor allem nach dem Weg, nach der mühevollen Strecke, die seine Mutter, er und ich hinter uns gebracht hatten, bis er zur Welt kam.

Eines steht fest für mich: Ich möchte niemals in einem staatlichen Krankenhaus in SA ein Kind zur Welt bringen. Die Armut, die Lebensumstände und die Tatsache, dass Menschen hier einen Job ausführen, nicht aus Begeisterung und Begabung, sondern weil es womöglich der einzige ist, den sie bekommen können, scheinen dazu zu führen, dass es hier Alltag ist, dass Krankenschwestern menschenunwürdig mit ihren Patienten umgehen. Dies bekomme ich jeden Tag im Dream Centre vor Augen geführt und erlebte es im vollen Ausmaß an Njabulos Geburtstag.

Ich will euch kurz schildern wir der Tag der Geburt verlief:
Um halb fünf nachts klopfte Ntathu's Mutter an meine Tür und teilte mir mit, dass ihre Tochter seit 2  Uhr in den Wehen sei und sie schon ihren Schwiegersohn angerufen habe, um uns (ich hatte Ntathu versprochen, bei der Geburt dabei zu sein) ins Krankenhaus zu fahren. Schwangere Frauen müssen hier einplanen, dass es bis zu 2 Stunden und mehr dauern kann, bis sie ein Transportmittel aufbringen können, das sie ins Krankenhaus fährt.

Um halb 6 erreichten wir das Krankenhaus, wo wir von den Nachtschwestern keinerlei Beachtung fanden. Nachdem ich sie darauf aufmerksam machte, dass Ntathu in den Wehen sei, schickten sie uns zur Rezeption, an der niemand saß. Wir warteten ein halbe Stunde, um eine weitere halbe Stunde auf Papiere zu warten. Hier in Südafrika scheint eine Reaktion auf eine schwangere Frau erst nötig und normal zu sein, wenn die Fruchtblase schon geplatzt ist.

Nach gut einer Stunde saß Ntathu auf einem extra gepolsterten Stuhl, während ich an der Rezeption warten musste. Von nun an vergingen 5 Stunden und leider war niemand zur Unterhaltung dar. Ich hatte jedoch Glück, dass so etwas wie eine Kioskfrau vorbei kam, die mir ein Wasser und ein Sandwich verkaufte. Warteräume wie in Deutschland gibt es hier in staatlichen Krankenhäusern nicht.
 
Die Schwestern untersuchten alle 2 Stunden, wie weit sich Ntathus Muttermund geöffnet hatte. Dies ist in eine Spanne von 1 bis 10 unterteilt. Sobald die Mutter Nummer 10 erreicht hat, kann das Kind geboren werden. Um 12 Uhr war Ntathu bei Nummer 7 und wurde in den Geburtsraum geschickt, wo sie alleine auf ein Stahlbett, was hier nicht verstellbar ist, steigen musste. Da ich da war, konnte ich ihr das Kopfkissen zurechtlegen und ihr helfen aufs Bett zu steigen, da sie in schwersten Wehen war. Allerdings waren alle anderen schwangeren Frauen, meist sehr jung, alleine. Es ist hier nicht üblich, dass, wie in Deutschland, dein Mann oder die Familie dich begleitet, wenn du dein Kind zur Welt bringst.
 
Sie untersuchten die Wehen der Mutter und die Herzschläge des Kindes mit einer Apparatur, die sie am Bauch befestigten. Um 1 Uhr erreichte Ntathu Nummer 8 und die Ergebnisse waren nicht lesbar, da Ntathu sich bewegt hatte. Die Hebamme wies sie schroff zu recht und fragte sie, ob sie blöd sei, warum sie sich bewege. (Man bedenke sie war in schwersten Wehen). Da ist es doch verständlich, dass man sich - es handelte sich um kleinste Bewegungen - nicht komplett still liegt). Wäre die Schwester für ca. 10 Minuten im Raum geblieben, um die Apparatur zu beobachten, hätte sie sicher gehen können, dass die Ergebnisse erfolgreich sind. Naja, sie sagte uns, sie komme um 3 Uhr wieder, um nach ihr zu schauen.

Von nun an schrie Ntathu für eine Stunde. Sie schrie nach Krankenschwestern und sagte, dass sie das Baby nicht mehr länger zurück halten könne, sie müsse pressen. Die Schwestern hielten während dessen ihre Kaffeepause und zeigten keinerlei Reaktion. Auf Nachfrage erzählten sie mir, dass dies normal sei beim ersten Kind. Einer anderen Frau, die mittlerweile auf dem Boden lag, da ihre Wehen so stark waren, sagten sie, dass dies der richtige Ort für sie sei und dass sie kein Bett bekommen könne.

Ntathu hatte sich einfach komplett ausgezogen, da ihr keine Möglichkeit geboten wurde, sich ein Nachthemd anzuziehen. Nach immerhin einer Stunde kam die Hebamme und ich konnte den Kopf des Kindes schon sehen. Als ich sie darauf hinwies, sagte sie bloß: "oh!".

Seit wir im Krankenhaus waren, wurde der Mutter nichts erklärt, z.B. was mit ihr geschehe, wie lange sie die Wehen ertragen müsse oder wie sie sich verhalten solle. Als wir mit der Entbindung begannen, waren die einzigen Worte der Hebamme: "Vala umlomo, Vula ithenge!" (Mund zu, Beine breit!). Sie kommandierte sie, als seien wir in der Armee: "Komm runter! Wenzani? (Was machst du denn?). Bist du dumm?". Ntathu hielt sich an einer Schiene fest, die hinter ihrem Bett angebracht war, worauf die Hebamme sie zurechtwies: "Lass los. Du zerstörst unser Equipment!"

Ntathus Muttermund war nicht weit genug geöffnet, somit musste die Hebamme einen Schnitt machen. Sie hatte keine Assistentin, deshalb reichte ich ihr die Schere. Ohne jede Vorwarnung und ohne dass Ntathu eine Wehe hatte, d.h. es war sehr sehr sehr schmerzhaft, machte sie einen Schnitt. Die Mutter war nun zu schwach um zu pressen. Um halb 3 kam Njabulo zu Welt. Wir erhielten allerdings keinerlei Informationen, ob er gesund ist oder nicht. Die ersten, erschreckenden Worte der Mutter waren: "Der Junge ist hässlich." und die Reaktion der Hebamme darauf:"Genau wie seine Mutter." Ich konnte es nicht fassen. Ich dachte ich bin in einem Film.

Allerdings zeigte dies, dass Ntathu völlig überfordert war und in diesem Moment das Kind nicht wollte, was sie mir auch die Woche darauf bestätigte. Sie sagte, sie wünschte, sie hätte ihn an diesem Tag weggeben können, da er ihr so viele Schmerzen bereitet habe.

Auch das Nähen hielt Ntathu kaum aus, da die Hebamme so herzlos und brutal war. Sie sprach nicht ein Wort mit der Mutter, um ihr zu erklären, was sie gerade mache, um ein Gefühl von Vertrauen zu erwecken, damit Ntathu so entspannt, wie möglich sein hätte können, um ihr Leiden so gering wie möglich zu halten.   

Außerdem wurde das Baby nicht gewaschen. Die Hebamme verließ einfach den Raum ohne ein Wort. Da Ntathu zu schwach war und noch am ganzen Körper zitterte, kümmerte ich mich um das Baby: Ich wickelte ihn, kleidete ihn etc. Ntathu und das Baby blieben über Nacht und ich nahm abends um halb sechs ein Taxi nach Hause. Ich war nach diesen 12 Stunden wirklich müde. Fünf Minuten nachdem ich in meinem Zimmer ankam, war ich auch schon eingeschlafen. Allerdings konnte Ntathu das Baby nicht stillen. Bis zum frühen Morgen gab ihr niemand im Krankenhaus Milch für Njabulo, weshalb er die ganze Nacht durch schrie.

Als ich am nächsten Tag von der Arbeit nach Hause kam, begrüßte ich Mama und Sohn wohlauf zu Hause. Es dauerte ein Woche bis die Stiche verheilten und Ntathu das "Trauma", wie sie es nannte, verarbeitet hatte. Mittlerweile liebt sie ihren Sohn über alles und ist jetzt auch meiner Meinung, dass er sehr süß ist.

Ntathu ist 21 und bekam das Baby ungewollt. Jedoch ist sie immer noch in einer Beziehung mit dem Vater, der das Kind finanziell unterstützt und sie regelmäßig besucht. Ab Januar nächsten Jahres werden sie zusammen ziehen. Allerdings ist es Alltag hier, dass ein Mann mehrere Frauen hat. In der Kultur der Zulus zeigt dies, dass du ein richtiger Mann bist. Es ist positiv, wenn du mehrere Frauen heiratest. Dies erhöht allerdings das Risiko sich als Frau mit HIV zu infizieren, selbst wenn du verheiratet bist, da du nicht sicher sein kannst, ob sich dein Mann nicht Frauen neben dir hält.  

Ich hatte etwas Sorgen um sie und das Kind, da sie schon einmal eine Fehlgeburt hatte und ihre Schwester aufgrund einer Fehlgeburt  gestorben ist. Sie verlor zu viel Blut und die Transfusionen kamen zu spät. Schwangere Frauen sind hier nicht unter ständiger medizinischer Betreuung, da sie sich Arztbesuche auf Dauer nicht leisten können und man nur mit Arbeit so etwas wie eine  Krankenversicherung hat. 1 von 16 Frauen durchlebt aufgrund dessen im südlichen Afrika eine Risikoschwangerschaft, in Europa ist es lediglich 1 von 2800.  Ich kenne mittlerweile schon 5 Frauen, die eine Fehlgeburt hatten, eine davon in Form einer Totgeburt im 8. Monat.

Außerdem sind Frauen hier so erzogen worden, dass sie sich nicht beklagen. Sie sind es gewöhnt Schmerzen zu ertragen und sie besuchen erst einen Arzt, wenn es nicht mehr anders geht.  Ihnen fehlt oft die Bildung in Bereichen wie Schwangerschaft, Ernährung, Gesundheit etc., sodass sie nicht wissen, was gerade mit ihrem Körper passiert und welche Situationen riskant für sie und das Baby sind. Schwangerschaftsgymnastik ist hier ein Fremdwort und die meisten Frauen gehen ganz unvorbereitet in die Geburtssituation hinein. Das Positive daran ist allerdings, das Schwangerschaften hier sehr natürlich ablaufen, da sich Mütter nicht wie womöglich viele weiße Frauen dem mentalen Stress unterziehen, aus Sorge um ihr Baby. Trotz allem wissen viele ältere Frauen, wie man ein Kind zur Welt bringt, was in Notsituationen eine große Hilfe darstellt.

Bevor sie schwanger wurde, arbeitete Ntathu in einer IT-Firma. Sie besuchte eine “Coulered (Mischung aus Schwarz und Weiß) School”, die einen höheren Standard hat, als eine “Black (afrikanische) School” und spezialisierte sich dort auf den IT-Bereich. (Die Bezeichnungen, die ich für die Schulen verwende, sind die üblichen Bezeichnungen von allen Südafrikanern hier und sind keineswegs rassistisch gemeint). Auf diesen Schulen gibt es auch Schwimmunterricht, was in den “Black-Schools” in den Townships nicht üblich ist. Deshalb trifft man hier kaum Afrikaner, die schwimmen können.

Die Mutter des Hauses, Jabu, ist 53 Jahre alt und hat ein Alkoholproblem. Bis vor einem Jahr hat sie in einer Fabrik gearbeitet. Sie infizierte sich mit TB und wurde schwer krank. Zudem hatte sie Probleme mit ihrem Herzen und war ein halbes Jahr im Krankenhaus stationiert. Aufgrund dieser Zeitspanne verlor sie ihren Job und bekommt seitdem finanzielle Unterstützung von ihren Kindern.

Ntathu hatte 2 ältere Schwestern. Die jüngere von beiden ist vor ca. 1 Monat gestorben, wie ich oben schon geschildert habe. Sie hinterließ eine Tochter von 7 Jahren, Nqobile, die unter der Woche bei ihrem Vater lebt und uns übers Wochenende besucht. Kinder in diesem Alter sprechen hier meist schon fließend Englisch, da der Schulunterricht bis auf “Zulu” komplett in Englisch stattfindet. Für die Kleine muss ich immer was von meinem Essen aufheben, da sie ganz wild danach ist.
 
Ntathus älteste Schwester ist letztes Jahr gestorben. Sie hatte für eine Woche einen geschwollenen Fuß und starb daraufhin. Ich spekuliere, dass sie evtl. eine Blutvergiftung hatte. Sie hat einen Sohn, Lindo, von 12 Jahren zurückgelassen. Auch er lebt bei seinem Vater und besucht uns übers Wochenende (auch Linda ist hier ein Jungenname und es bedeutet in Zulu “warte”, nicht wie im Spanischen “schön”). HIV konnte bei keinen der beiden Schwestern nachgewiesen werden. Jedoch ist es üblich dies hier zu vertuschen, was nicht heißen soll, dass sie infiziert waren.

Zudem gehört Mbembe oder auch Skhumbuzo zur Familie. Seit einem Monat ist er an TB erkrankt und nimmt Medikamente (er hat sich wahrscheinlich bei seinem Cousin angesteckt, der uns während einer kulturellen Zeremonie für die verstorbene Schwester besuchte). Mbembe verlor seine Mutter im Alter von 5 Jahren und wurde von Ntathu's Familie aufgenommen, da seine Mutter in Beziehung zu Ntathu's Großmutter stand. “Gogo” (Oma) war laut Ntathu die Vertrauens- und Vermittlerperson der Familie. Leider starb sie vor einem Jahr.

Es schockt mich immer wieder aus was für Gründen und in welchen jungen Jahren Menschen hier sterben. Es zeigt mir deutlich wie unterschiedlich die medizinischen Standards und die medizinische Versorgung zwischen Deutschland und Südafrika ist.  Auch Väter, die älter als 50 Jahre sind, findest du hier kaum. Bis auf einen Fall kenne ich bloß Familien, die nur noch mit ihrer Mutter zusammenleben.
 
In Umlazi waren unsere ständigen “Hausgäste” Ameisen. Sie waren überall. Jetzt sind es Ghekos, die mir um einiges lieber sind und viel zu viele Moskitos, die mir schlaflose Nächte bereiten. Außerdem besitzt die Familie sechs kranke Hunde (zuvor waren es 11). Sie sind abgemagert und haben blutende, wunde Ohren. Die Familie kann und will nicht richtig für so viele Hunde sorgen. Sie gehörten der Schwester, die vor Kurzem verstorben ist. Deshalb haben ich einen Service, SPCA, angerufen, der die Hunde abholen wird, da die momentane Situation für uns, als auch für die Tiere eine Qual ist. Sie bringen Bakterien, Fliegen und u.a. Flöhe (meine ganzen Füße waren zerbissen) mit sich, die unvermeidlich in meinen Raum gelangen, da meine Zimmertür meine Haustür ist, welche zum Boden hin einen handbreiten Spalt offen ist. Ich lege abends, bevor ich schlafen gehe eine Holzlatte quer, um das Eindringen von Schlangen zu vermeiden.
 
Allerdings hatte ich letztens ein ganz besonderes Haustier, ein sogenanntes “Glückstier”. Es ist grün und sieht ähnlich aus, wie eine Heuschrecke, nur größer. Angeblich bringe es, wie der Name schon sagt, Glück mit sich.

Ich weiß, dass ich in dieser Email nicht wirklich viele fröhliche Dinge erzählt habe, aber ich will die Seitenzahl nicht sprengen und werde dafür meine nächste Email genau umgekehrt gestalten, d.h. mehr schönes als negatives erzählen und u.a. von der Hochzeit berichten.

Salani kahle! (Alles Liebe)

Linda

PS: Ich hoffe, jemand hat die Nationalhymne a la "Harmonie Lindenholzhausen" für mich aufgenommen.
 
 
 
3. E-Mail von Linda vom Mo 29.10.2007 15:05:

Ya! (das Wort “ja” verwendet man hier auch zum grüßen)

Mein “Immunsystemerholungsmonat” ist so gut wie zu Ende und ich versuche jetzt jeden morgen ab 8, oder auch früher, im Dream Centre zu sein (d.h. um 6 oder auch früher aufstehen), um den Krankenschwestern beim Waschen der Patienten, Säubern der Räume und Bettenmachen zu helfen. Hermien (60) und Lies (51), 2 holländische Krankenschwestern, führen mich ein, da ich mir bei jenen sicher bin, dass sie ihre Arbeit kennen. Sie sind für 4 Wochen in Südafrika. Es ist schön, ausgebildete Personen aus unserem System hier zu haben. Wir tauschen uns sehr viel aus. Ihre Erfahrung in ihrem Job ist eine große Bereicherung für mich und das ganze Personal hier.

Unter anderem haben sie dafür gesorgt, dass seit heute richtige Masken auf den Fluren sind. Die vorherigen hatten die Qualität von Papier, d.h. es machte keinen Unterschied, ob man ein, zwei oder gar keine trug. Das Personal trug meist bis zu drei und wechselte sie jede Stunde. Es machte keinen Sinn, Geld in etwas zu investieren, was nichts bewirkte. Ab heute bekommt jeder Mitarbeiter in einem Etui seine eigene Maske, die mit seinem Namen versehen und für die er verantwortlich sein wird. Diese Art von Maske kann, wenn sie nicht feucht wird, weil ein Pat. sie z.B. anspuckt, bis zu einem Monat getragen werden. Auch ich fühle mich jetzt um einiges sicherer, wenn ich hier arbeite.

Zudem haben sie für mich und 2 andere Freiwilligen einen Kurs gemacht und uns beigebracht, wie man einen Pat. aus dem Bett in den Rollstuhl befördert, wie man ihn darin aufrichtet und wie man ihn im Bett in verschiedene Richtungen bewegt. Wir planen diesen Kurs mit dem Personal durchzuführen und eine kurze bildhafte Beschreibung in die Flure zu hängen, da ihnen die Ausbildung um einen Patienten richtig anzufassen und zu bewegen fehlt. Außerdem hat eine holländische Freiwillige, bevor sie vor einem Monat SA verlassen hat, drehbare Scheiben gesponsert, welche es erleichtern einen Pat. in den Rollstuhl zu befördern. Wenn man den Pat. aus dem Bett aufgerichtet hat, kann er sich auf diese Scheibe stellen, welche sich dann in Richtung des Rollstuhls dreht und wir ihm lediglich eine Stütze sein müssen, um sich zu setzen. Die Kurse von Hermien und Lies geben uns die Möglichkeit, die Fähigkeiten, die wir von ihnen erlernen, an andere weiterzutragen, auch wenn sie wieder zurück in Holland sind. Wir planen, eine verantwortliche Schwester auf jedem Flur zu haben, die jene Kurse mit ihrem Personal monatlich durchführt.

Montagmorgen habe ich mit Princess gearbeitet. Sie ist in Stadium 3 und mit TB infiziert. Sie verweigerte seit 5 Tagen Essen, Trinken und die Einnahme ihrer Medikamente, weshalb in ihrer Nähe das Tragen einer Maske ein Muss ist, da die Gefahr an TB zu erkranken groß ist. Als ich bei ihr war, trank sie überraschenderweise 2 Tassen Wasser und aß sogar ein bisschen Brot.
Die Verweigerung kann damit zusammenhängen, dass der Virus bei ihr eine geistige Verwirrung (HIV-Dimentia/Demenz) hervorruft und dass sie sich dadurch ihrer Handlungen nicht voll bewusst ist. Solange sie klar denkt, kann man gut mit ihr kommunizieren, sie isst, trinkt und nahm heute sogar ihre Medikamente ein. Sobald sie im Verwirrungszustand ist, kommt man nicht an sie heran.

Außerdem habe ich Pinky, die aufgrund eines Schlaganfalls einseitig gelähmt ist, gefüttert und gewaschen. Ihre Sprachregion ist befallen, weshalb sie nur durch Geräusche “ja” oder “nein” sagen kann. Weiterhin haben wir ihre “Bedsore” (Wundliegegeschwür), die einem Tennisball großen, Loch entspricht, behandelt. Es ist ein tiefes, offenes Geschwür an ihrem Gesäß ohne jegliche Hautschichten. Muskeln, Knochen, Sehnen oder Gelenkkapseln können geschädigt sein. Zudem hat sie eine Candidose, eine weißliche Pilzerkrankung, die den ganzen Mund befällt. Um dies zu heilen, geben wir ihr 3-mal täglich spezielle Tropfen.

Opportunistischen Infektionen, wie Candidosen, TB (die z.B. Hirnhautentzündungen hervorrufen kann), oder das Wasting Syndrom (starker Gewichtsverlust), nicht der Virus selbst, führen dazu, dass unsere Patienten schwer krank sind oder werden. HIV schwächt das Immunsystem sehr stark und man ist leicht anfällig für diese Sekundärinfektionen.

Neben meinem Krankenhausleben, bin ich mittlerweile in ein anderes Township, Clermont, umgezogen, das nur noch 15 Minuten von meiner Arbeitsstelle entfernt ist. Das Gebiet heißt Fennin. Ich miete dort einen Raum (3 m auf 4,5 m) für 200 Rand, ungefähr 20 Euro im Monat.
(Das durchschnittliche Monatseinkommen eines Afrikaners ist 1000 Rand, ca. 100 Euro).
Der Raum grenzt an das Haus der Familie, genauer gesagt an das Schlafzimmer der Tochter des Hauses (Ntathu). Ich habe aber eine eigene Tür, durch die ich von außen in mein Zimmer gelange.

Ich habe es hier ganz gemütlich: Ein Bett und ein kleines Schränkchen für Nahrungsmittel, auf dem ein kleiner Ofen (sieht aus wie eine Mikrowelle) mit zwei Herdplatten steht. Ntathu hat letzte Woche ihr Zimmer ausgerümpelt und ich durfte einen alten Kleiderschrank bei mir unterstellen.
Vorher hatte ich einen sehr individuellen Kleiderschrank: Ich mag es nicht aus der Tasche zu leben, da ich dort meine Kleidung nicht sehen und man darin schwer Ordnung halten kann. Deshalb habe ich so etwas wie eine kleine Plastiktasche, in der man hier Koltern an der Straße kauft, genommen und meine Klamotten dort hinein gesetzt. Tada.... ordentlich und super sichtbar! ; )

Auch meine Anrichte ist Eigenkreation: Jeweils zwei Cola-Kisten an den Seiten und eine Holzplatte quer. Als Überzug, damit man die dreckigen Kisten nicht sieht und damit die Anrichte abwaschbar ist, habe ich an der Straße so etwas wie eine Plastikdecke (blau, mit afrikanischen Mustern) gekauft und fertig war die Anrichte...., bereit fürs Kochen. Dank der Plastikdecke kann ich jetzt auch Waschmittel, Spüli und den Eimer für dreckiges Wasser (wenn ich z.B. wasche und das Wasser erneuern muss, kann ich das dreckige Wasser im Eimer zwischenlagern und später alles zusammen hinterm Haus wegschütten. Somit muss ich nicht ständig hin und her laufen.) darunter verstecken. Da ich keine Waschmaschine habe, die Klamotten schleudert, sondern ich alles mit der Hand wasche, bügele ich jeden morgen bevor ich das Haus verlasse. Als Bügelbrett dient mein Bett.

Für Unterhaltung meinerseits steht ein altes, klappriges Radio zu Verfügung. Es ist immer ein wenig Arbeit den Sender und die Lautstärke einzustellen, da der Lautstärkeregler kaputt ist und nur ganz wenige Positionen rauschfrei sind. Spülschwamm oder ähnliches können sehr hilfreich sein, um die Antenne in einer Position zu halten. ; ) Wenn es dann aber auf Touren ist, ist es sehr unterhaltsam, da die Radiosender hier im Gegensatz zu Deutschland neben schöner Musik viele sehr interessante Diskussionsrunden, sowohl mit politischen, als auch mit gesellschaftlichen Themen im Programm haben. Es ist üblich, dass man beim Radio für einen günstigen Tarif anruft und sich an den Diskussionen beteiligt.

Mein Wasser hole ich von einem Wasserhahn hinterm Haus und bewahre es in einem 25 Liter Kanister auf, aus dem ich es mit einem Messbecher heraus schöpfe.
Das Geschirr wasche ich in einer Bütte und in einer anderen, etwas größeren Bütte wasche ich mich. Vorgänge wie kochen, Geschirrspülen, “baden” oder Haare waschen dauern alle etwas länger, wenn man kein fließendes Wasser und keinen Abfluss (um jenes wegzuschütten) im Zimmer hat, geht aber einwandfrei und ist sehr sparend. Pro Tag verbrauche ich nicht mal einen Kanister. Nur “baden” bei schlechtem Wetter ist nicht so schön.

Mein Dach ist aus Wellblech und hat hier und da ein paar kleine Löcher. Deshalb kommt es schon mal vor, so wie gestern, als es nachts und tagsüber stark regnete, dass man einen Topf unterstellen muss, da sonst mein kleines Schränkchen unter Wasser steht. Außerdem tropft es einem auch schon mal auf den Kopf, wenn man schläft und man wundert sich, ob man grade unter der Dusche steht. ; ) Allerdings ist mein Raum im Vergleich zum Haus drinnen harmlos. Wenn es stark geregnet hat, steht es fast komplett unter Wasser, da die Anzahl von Löchern im Dach kaum zu bewältigen ist. Jeder Raum ist nass.

Wir wohnen in einem Hang, eher gesagt in einem Loch. Die Vorderseite ist wie in einer Baugrube und hinterm Haus geht es weiter bergab. Der Weg liegt sozusagen über uns und wir müssen auf einem schmalen Weg zu unserem Haus hinuntergehen. Die steilen “Treppenstufen” (eher als “Steinfetzen” zu beschreiben) zum Eingangsbereich hinunterzugehen ist “lebensgefährlich”. Ums Haus ist alles Grund. Wenn es geregnet hat, ist unser Haus von einem Sumpf umgeben, was mir gestern zum Verhängnis wurde. Ich wollte das dreckige Wasser vom “Baden” wegschütten und rutsche im Schlamm aus. Meine Schuhe brauchte ich an dem Tag nicht zu tragen.

Außerdem lebe ich in einem Baumparadies. Wir haben auf unserm Grundstück einen Dattel-, einen Bananen-, einen Papaya-, einen Mango- und einen Avocadobaum. Bei den restlichen bin ich mir nicht sicher, was an ihnen wächst.

Die Familie hatte früher im Hinterhof drei Shacks, die sie vermieteten bis die Großmutter diese nicht mehr wollte. Viele Familien bauen Shacks in ihre Hinterhöfe, da sie der Familie Geld bringen. Allerdings werden sie ohne Genehmigung aufgestellt und sind somit für die Regierung, für Planungen etc. nicht überschaubar. Die Regierung errichtet mittlerweile spezielle Gegenden, in denen sie Häuser bauen, mit dem Ziel, die Menschen aus den Shacks umzusiedeln. Allerdings bevorzugen viele Bewohner in den Wellblechhäusern zu leben, da diese in der Nähe (meist Fußweg) ihrer Arbeitsplätze sind, wohingegen die “Gouvernement (Regierungs)-Häuser” ca. ½ Stunde entfernt liegen und sie die Transportkosten von dort nicht aufbringen können.

Wenn ich Gäste habe versuche ich mir von der Familie Stühle zu leihen oder stelle deren kleines “Holzbänkchen (2 ca. 30 cm lange Füßchen und ein 1 m langes Holzbrett quer)” in meinen Raum, ansonsten enden wir alle auf meinem Bett, was auch ganz gemütlich sein kann – wie letzten Sonntag als mich drei Mädels auf einen Kaffee besuchten und mir zeigten, wie man einen Kanister oder Krug mit 50 Litern Wasser freihändig auf dem Kopf balanciert.

Lange Kerzen, die man auf einem Untersetzer befestigt, sind ein Muss hier in Südafrika, da es Standard ist, dass der Strom ausgeht. Es erstaunt mich immer wieder, dass in Shacks nicht ständig Feuer ausbrechen.

Nächstes Wochenende möchten Ntathu und ich versuchen die Wände in meinem und ihrem Raum abzuwaschen und die Fenster gründlichst zu säubern. Das ist allerdings nicht so einfach, da die Gitterstäbe, die in jedem Haus vor jedem Fenster sind (aufgrund der hohen Kriminalitätsrate), bei uns so verrostet sind, dass der Rost die Fenster und Gardinen durchweg schmutzig hält.

In manchen Dingen durchlebe ich hier die Zeit meiner Großeltern: Den Boden fege ich mit einer Route und ich wische ihn mit einem Mopp; die Toilette, der Plumpsklo im Hinterhof, ist aus Wellblech gebaut. Es ist mir allerdings nicht möglich diese zu benutzen, da die Familie 6 Hunde besitzt und ich deshalb nicht so einfach hinters Haus gelange. Ich darf deshalb die Toilette innen mitbenutzen. Außerdem benötige ich nachts so etwas wie einen Nachtstuhl. Da ich um diese Zeit nicht ins Haus komme, muss ein Eimer mit Wasser herhalten.
Die meisten Häuser hier haben eine einfache Toilette, ohne Klobrille und ohne Waschbecken oder sonstiges im Raum. Sie stellt gleichzeitig den Raum dar, in dem man sich wäscht, da es schwer zu vermeiden ist, dass der Boden ein wenig nass wird, wenn man sich in einer Bütte wäscht.
Da ich nur einen Raum habe, in dem ich mich auch wasche, muss ich jeden Tag putzen, was allerdings bei 3 m x 4,5 m nicht wirklich tragisch ist.

Wenn ich mein Leben hier mit dem in Deutschland vergleiche, ist meine “Wohnung” eine kleine Kammer, da selbst mein Zimmer (4 m auf 4 m) dort grösser ist. Jedoch kommt es mir überhaupt nicht klein vor und ich vermisse nichts (naja, bis auf mein Klavier)! Ich fühle mich sehr wohl in meinem kleinen Zuhause und gehe in meiner Rolle als Hausfrau richtig auf. Ich habe schon eine Leidenschaft fürs Kochen entwickelt und probiere ständig Neues aus.
Ich bin der Überzeugung, dass nicht die Größe meiner Wohnung, meines Hauses oder die Anzahl meiner Besitztümer, d.h. der Lebensstandard mein Leben ausmacht, sondern die Menschen mit denen ich zusammenlebe.

Die Afrikaner brauchen keine größeren Häuser, sie brauchen keinen Reichtum. Sie brauchen Respekt und Gleichberechtigung, dass sie sich nicht minder fühlen müssen. Sie brauchen Chancengleichheit, die Möglichkeit zu entscheiden, welchen Weg sie in ihrem Leben gehen wollen, um nicht einen Weg zu gehen, weil kein anderer zur Verfügung steht.

Ich wache hier in Südafrika immer zwischen 6 und 7 auf, schlafe allerdings auch schon gegen 9 ein, was damit zusammenhängen mag, dass ein Tag hier zu Ende ist, wenn es dunkel wird, d.h. zwischen 5 und 6.

Deshalb muss ich mich jetzt auch langsam zu meinem Taxi aufmachen, damit ich vor Dunkelheit zu Hause bin.

Ich wünsche euch noch einen schönen Abend!

Linda

PS: Nach langem Überreden hat Ntathu meine Haare in 4 Stunden in lauter kleine geflochtene Zöpfe verwandelt, deren Enden offen sind. Man nennt dies “Braids”. Das Beste daran ist, dass mir die nächste Zeit Haarkämmen erspart bleibt.
 
 
 
2. E-Mail von Linda vom Do 11.10.2007 13:35:
 
Sanibona! Ninjani?

Ich hoffe euch geht es gut. Eigentlich sollte ich euch jede Woche eine E-Mail schreiben, da in einem Monat einfach zu viel passiert.

Einige haben sich schon nach meinem Gesundheitszustand erkundigt, da sie von meiner Familie erfahren haben, dass ich schwer krank gewesen bin. Ich habe mir eine Grippeinfektion, die hier im Umlauf ist, eingefangen, die in der 4. Woche mit einer ziemlich starken Mageninfektion einherging.
Es hat mich die medizinische Lage hier in Südafrika wirklich verstehen lassen, aber keine Sorge, mittlerweile bin ich wieder wohlauf.
Es war schon ein kleines Abenteuer: Nach 3 Stunden Krämpfen, hat die Familie um 3 Uhr nachts einen Krankenwagen gerufen, der um 6 Uhr morgens ankam, um uns mitzuteilen, dass aufgrund von Kriminalitätsdelikten (Schießereien, Messerstechereien etc.) das Krankenhaus zu überfüllt sei und dass es besser sei ,um 8 zu einem privaten Arzt zu fahren, damit ich schneller behandelt werde. Um 9:30 habe ich dann von jenem eine Entkrampfungsspritze und Unmengen an Tabletten bekommen. Bezahlt habe ich 170 Rand, das sind ungefähr 18 Euro - für einen Afrikaner ist das viel Geld. Nach 2 weiteren Stunden, d.h. insgesamt 11 Stunden war ich dann endlich von den unerträglichen Krämpfen befreit. Sie haben mich noch zwei weitere Nächte eingeholt und nach circa einer Woche war ich wieder fit.

Was meine Arbeit hier angeht, haben sich viele neue Dinge ergeben. Nach meiner Krankheitsphase habe ich mit dem Sozialarbeiter zusammengearbeitet. Meine Aufgabe hat sich die erste Woche hauptsächlich mit Korruption von Beerdigungsinstituten beschäftigt. Ich habe eine Liste von 49 Fällen von toten Patienten erstellt, wo unklar war und ist, was mit den toten Körpern passierte, da Unterlagen die ein Beerdigungsinstitut (BI) benötigt, um einen Menschen legal zu beerdigen immer noch in unseren Händen sind. Des Weiteren wird unsere Aufgabe jetzt sein, die Institute anzurufen und zu recherchieren, was mit den Körpern passiert ist. Bis auf ein BI sind es Institute, die staatlich nicht registriert sind. Um solchen Situationen auszuweichen, gehen wir nun sicher, dass wir nur mit registrierten BI zusammenarbeiten, es sei denn, ein anderes ist familiärer Wunsch.

Weiterhin sorge ich dafür, dass die Patienten Ausweise bekommen, um auf die antiretroviralen Medikamente (ARVs) angesetzt werden zu können. Ca. 80% der Menschen, die aus “Rural Areas”, den ländlichen Regionen, kommen, besitzen keinen Ausweis. Auch für die Beantragung ihres Krankengeldes benötigen sie diesen. Jeder HIV-Positive in Südafrika, der kein Einkommen hat, bekommt ein Unterstützergeld von 800 Rand im Monat, ungefähr 80 Euro. Außerdem braucht jeder Patient einen “Unterstützer”, der dafür sorgt, dass der Pat. seine Tabletten ordnungsgemäß einnimmt. Dazu versuchen wir Familie oder Bekannte zu kontaktieren und jene in die aktuelle Situation einzuweisen.

Ich will euch kurz den üblichen Gang eines Patienten hier schildern:
Einweisung, Erstuntersuchung, Zweituntersuchung, Test der T4-Helferzellen, sollte die Anzahl der T4 Helferzellen unter 200 liegen oder der Patient in Stadium 4 sein, Training für ARV-Programm, 2 weitere Wochen um zu sehen, ob die Medikamente richtig anschlagen, Entlassung oder was leider bei 30-40% der Fall ist, Tod.

Vor allem 3 Patienten fordern unsere Arbeit heraus:

Eine unserer Patientinnen kommt von Mozambique und ist illegal hier in Südafrika. Für uns bedeutet es, dass es uns nicht möglich ist, ihr einen südafrikanischen Ausweis zu besorgen und wir sie somit nicht auf Medikamente ansetzen können. Ihr einziger Ausweg wäre es hier zu heiraten oder zurück in ihr Land zugehen.

Außerdem haben wir einen Patienten, der aufgrund von TB zu uns kam. Nachdem wir seine T4-Helferzellenanzahl (CD4-account) testen ließen, stellten wir fest, dass er HIV-negativ ist. Allerdings haben wir keinerlei Hintergründe von diesem Patienten, noch nicht einmal einen Namen - wir haben ihm einfach einen gegeben. Somit ist es uns nicht möglich ihn an eine staatliche Klinik weiterzuleiten, da kein Kostenträger vorhanden ist.

Der 3. Patient, kam ins Dream Centre aufgrund des Streiks des öffentlichen Dienstes im Juli dieses Jahres. Das gesamte Personal der Krankenhäuser legte die Arbeit nieder und Menschen starben. Das Dream Centre verbot seinen Angestellten zu streiken und nahm Notfälle auf. Nach Beendigung des Streiks wurden jene an andere Krankenhäuser verwiesen, nur der genannte Patient blieb zurück. Er ist ein psychotischer Fall, für dessen Behandlung wir kein Personal haben. Außerdem darf das Dream Centre legal nur HIV- und TB-Patienten unterbringen.  Außer seinem Vater, haben wir keine Kontaktperson und zu jenem hat der Pat. ein sehr schlechtes Verhältnis. Wir versuchen ihn jetzt an ein staatliches Krankenhaus weiterzuleiten. Allerdings müsste der Vater monatlich für die Unterbringung seines Sohnes zahlen, was er natürlich mit allen Mitteln zu verhindern versucht, da sein Sohn im Dream Centre kostenfrei untergebracht ist.

Außerdem beteilige ich mich an den “Wardrounds”, “Flurrundgängen”(Wir haben auf einem Flur zwei Flügel, auf dem einen sind männliche Pat., auf dem anderen weibliche Pat. stationiert). Jeden Mittwochmorgen trifft sich dazu das komplette Team (Ärztin, Schwestern, Psychologen, Pfarrer, Apothekerin, Physiotherapeuten, Sozialarbeiter). Erst haben wir ein kurzes Treffen, indem wir Problemfälle besprechen und anschließend gehen wir zusammen einen Flügel entlang. Die Ärztin geht die Akte jedes einzelnen Patienten durch und wir besprechen akute Probleme.

Einige der Probleme der letzten Woche will ich euch kurz schildern:

Eine unserer Pat. ist taub und blind, d.h. es ist uns nicht möglich ein ARV-Training mit ihr durchzuführen. Die gesamte Kommunikation mit dieser Patientin ist nahezu unmöglich und  für etwas Neues zu lernen, wie z.B. Blindenschrift, ist sie zu krank.
Ein weiteres Problem ist, dass Familienmitglieder den Pat. Tabletten aushändigen. Sie kaufen für jene Immunbouster (IB) und denken der Pat. werde dadurch schneller gesund. Das Gegenteil ist der Fall. ARV und Immunbouster interagieren. Die IB erhöhen zwar den CD4-account, aber die ARVs sind nicht in der Lage zu wirken, somit kann sich die Virenanzahl nicht verringern. Deshalb kommt es vor, dass ein Patient ein CD4 von 1000 hat, aber dünn wie ein Stock ist. Da der CD4 nicht unter 200 ist und der Pat. evtl. nicht in Stadium 4 ist, kann man ihn nicht auf ARVs ansetzen. Schlussfolgernd bedeutet dies, dass die IB den Tod für den Pat. bedeuten können.

Ein ähnlicher Fall begegnete unserer Ärztin letzte Woche. Ein Patient, der schon ein halbes Jahr ARVs zu sich nimmt, ein Zeitraum, indem sie schon lange wirken sollten, ist schwerst krank und es ist keine Verbesserung seiner Situation in Aussicht. Dies erschien ihr sehr merkwürdig und am nächsten Tag entdeckte sie neben seinem Bett eine große leere Box, die ein “Antivirales Medikament” enthielt. Die Familie dachte, wenn Aids ein Virus sei, seien Antivirale Tabletten doch genau das Richtige, um es zu bekämpfen. Diese hatten aber dieselbe Auswirkung, wie die oben geschilderten IB und hätten den Pat. beinahe in den Tod geführt.

Neben dem oben genannten haben wir einen weiteren psychotischen Pat., der allerdings HIV+ ist und somit legitimiert ist, im Dream Centre stationiert zu sein. Er benötigt jedoch professionelle psychiatrische Hilfe, die wir ihm hier nicht geben können. Unser Ziel ist es ihn an eine Psychiatrische Klinik weiterzuleiten.

Ich habe mittlerweile auch mit der Ärztin gesprochen. Es scheint, dass die Menschen hier TB wie eine Grippe betrachten. “Sollte ich mich infizieren, nehme ich halt Tabletten für ein halbes Jahr und dann ist gut.” Die holländische Schwester Hermien, die seit gestern hier arbeitet und mit der ich mich viel austausche, hat mir jedoch bestätigt, dass TB eine ernst zunehmende Infektion ist, an der immer noch Leute sterben. Und vor allem hier in Kwa-Zulu-Natal (KZN) gibt es viel Arten von TB, die verschiedenste Körperteile angreifen, wie ich euch schon in meiner letzten Mail schilderte. Es scheint aber für Europäer ungefährlicher zu sein, da wir aufgrund unserer Lebensweise von vornerein ein besseres Immunsystem (IS) haben. Trotz allem hat mir die Ärztin geraten mich einen Monat von den Fluren fernzuhalten, damit sich mein IS wieder stabilisieren kann. Sie meinte außerdem, dass mein IS mit der Zeit immer stärker würde und gegen die “Bazillenflut” hier immer besser ankommen könne. Ihre Hauptaussage war, dass es wichtig ist, dass man in einem guten seelischen Zustand sei und auch wenn das Risiko hier etwas höher sei, könne man sich in Kwa-Zulu-Natal mit TB überall infizieren.

Einen riesen Freudensprung habe ich gemacht, als ich vor ca. 3 Wochen in unserer kleinen Kapelle ein Klavier entdeckt habe. Leider ist es total verstimmt und ich versuche jetzt einen Weg zu finden, es stimmen zu lassen.

In meiner letzten E-Mail habe ich euch versprochen vom “Membeso” zu erzählen.
Wie ihr vielleicht wisst, zahlt ein Afrikaner “Lobola” an die Familie der Frau, die er heiraten möchte. Der Geldbetrag entspricht 11 Kühen, ca. 20.000 Rand, ungefähr 2000 Euro. 1 echte Kuh kauft er  für die Hochzeit, den Rest bezahlt er als Geldbetrag. Sollte er allerdings die Tochter eines “Chiefs” (Zulukönigs) heiraten, kann es ihn das 3-fache kosten. Er muss dann um die 20 echten Kühe kaufen und den Rest bar zahlen. Lobola ist sozusagen eine Entschädigung dafür, dass die Familie ihre Tochter verliert. Heutzutage wird das Geld hauptsächlich für die Hochzeitskosten verwendet. Es kommt aber auch vor, dass Männer, die von ihren Frauen betrogen wurden, das Geld zurückverlangen.
An dem Tag, an dem der Mann alles gezahlt hat, wird das sogenannte “Membeso” veranstaltet, an welchem ich vor einem Monat teilgenommen habe: Vor dem Haus war ein kleines Zelt aufgebaut, in das wir, die Familie (meist 20-50 Leute) des Mannes, singend und tanzend einzogen. Nachdem wir ungefähr eine Stunde im Zelt gesungen und getanzt hatten, betrat die Familie der Frau das Zelt. Die beiden Familien veranstalteten nun so etwas wie einen “Kampf”, jede Familie sang ihr Lied und sie tanzten aufeinander zu. Eine versuchte die andere zu übertrumpfen, heftiger zu tanzen, lauter zu singen. Nach dieser Zeremonie gab die Familie des Mannes Geschenke an die Familie der Frau: Decken, Schürzen, Töpfe, Kleidung etc. Die jeweilige Person, für die das Geschenk gedacht war, trat nach vorne, trug es, sang und tanzte.
Die Familie der Frau saß in einer Seite, die des Mannes in der anderen Seite des Zeltes. In der Mitte, in einem  schmalen Gang, der Ort des Geschehens, saß die zukünftige Frau, den Kopf gesenkt, auf einer Matte mit ihren weiblichen Geschwistern. Die zukünftige Ehefrau, “Makoti”, erhielt am Schluss ihre Geschenke, u.a. ein sehr schönen traditionellen Zweiteiler. Außerdem ist es üblich, dass die Familie des Mannes Ziegen oder Schafe an die Familie der Frau gibt. In meinem Fall war es eine Ziege und ein Schaf, welche später hinterm Haus von den Männern der Familien geschlachtet wurden. Eins steht fest: Jeder afrikanische Mann hier ist ein gekonnter Schlachter.
Die Innereien wurden von den Frauen gesäubert. Sie entfernten das Gras, wuschen sie und verwendeten sie später zum Kochen. Die Innereien unserer Ziegen haben wir am nächsten Tag verspeist. Wie in meiner letzten E-Mail geschildert sind diese hier eine Delikatesse.
Die Familie der Frau bedankt sich anschließend, indem sie auch ein paar Geschenke an die Familie des Mannes gibt. Diese können auch Ziegen und Schafe beinhalten.
In unserem Fall hatten wir ein Problem: Wir bekamen zwei Ziegen, die ein Geschenk an die Familie in Dundee, ein Ort ca. 4 Stunden von Durban, waren.
Die Mutter jener Familie konnte nicht anwesend sein, da sie aufgrund des Todes ihrer Tochter an keinen Feierlichkeiten teilnehmen durfte. Sie durchlebt die sog. "schwarze Zeit" (ca. 1 Jahr), in der sie nur schwarze Kleidung trägt (ähnlich wie bei uns, wenn jemand stirbt.) Somit war es unserer Aufgabe, die Tiere nach Dundee zu befördern, was uns mit lebendigen Ziegen allerdings nicht möglich war. Deshalb schlachteten wir sie hinterm Haus und chauffierten sie im Kofferraum. ; ) Die Zeremonie endete damit, dass alle Gäste Essen ausgehändigt bekamen, welches an Feierlichkeiten immer besonders lecker ist.

Am 26. September war hier ein Feiertag, “Shaka's Day” (Tag des Zulukönigs), mittlerweile umbenannt in “Heritage (Erbe) Day”, damit alle Kulturen, nicht nur die Zulus, ihn feiern können. An diesem Tag sind alle traditionell gekleidet. Bei den Zulus tragen die Männer Felle um Schultern und Hüfte. Außerdem kämpfen sie mit Stock und Schild, welche ebenfalls mit Fell überzogen sind. Die Frauen tragen bunte Perlenschürzchen an Hüfte, Stirn und Hals, Perlenohrringe etc. Ich bekam an diesem Tag einiges, manchmal zu viel, an nackter Haut zu sehen. Traditionell dürften die Frauen bloß Perlenketten, -bordüren (“Perlenstring”) tragen, nichts anderes. Ein Tuch aus Perlen würde den Schambereich bedecken. Allerdings macht das so extrem keiner mehr. Freie Busen, oder junge Frauen im BH sind üblich. Sie tragen meist Leggins unter den Perlenschürzchen. Vereinzelt sieht man jedoch auch Mädchen die bloß den “Perlenstring” tragen, und entweder braune Unterwäsche oder Unterwäsche, die den Hinter blank erscheinen lässt, darunter anziehen.

Auf einem großen Fußballplatz tummelten sich tausende von Menschen zusammen. Der Zuluking hielt eine Ansprache, es wurden traditionelle Lieder gesungen und getanzt. Typisch für Zulus ist es die Beine in die Luft zu werfen und dann auf den Boden “aufknallen” zu lassen. Außerdem machen die Männer durch Aufstampfen ihrer Stöcke und durch Aufschlagen der Stöcke gegen ihre Schilde allerlei Geräusche. Jede halbe Stunde flüchteten wir vor Männerscharen, die sich durch Herumwirbeln ihrer Stöcke durch die Massen drängten. Lustig anzuschauen war auch, dass ein hoher ANC-Politiker namens Musa, der als Pateipräsident kandidiert, bloß in seinem Pelzschürzchen singend und tanzend aktiv war. Er ist schlau, so gewinnt man sich Wähler!

Genug für heute. Ich hoffe euch geht es gut und ihr hattet alle einen entspannenden “Tag der deutschen Einheit”.

Sala kahle!

Linda
 
 
 
1. E-Mail von Linda vom Mi 22.08.2007 09:46:

Sawubona! hallo an alle aus Südafrika!

Ich bin mittlerweile seit ca. 1 Monat hier, gut angekommen und arbeite mich grade ein. Hatte leider erst jetzt die Möglichkeit Internet zu verwenden, deshalb könnte die Mail etwas länger werden. Sollte mein Deutsch in den E-Mails etwas komisch sein, bitte entschuldigt, meine Zunge und mein Kopf haben sich an Englisch und Zulu gewöhnt.

Also, die ersten 2 Wochen habe ich in einem Township in Johannesburg verbracht - Deepslut. Ich habe dort mit drei Freunden in einem Raum gelebt und habe gelernt, wie man Pap, das südafrikanische Hauptnahrungsmittel, kocht.
Es besteht aus Maismehl, Wasser und Salz. Zum Frühstück isst man es süß als Brei und zur richtigen Mahlzeit ist es eher fest und man isst es mit verschiedenem Gemüse oder Fleisch. Für die ganz arme Bevölkerung ist es das einzige Nahrungsmittel.

Die meisten Menschen, die in Deepslut wohnen, kommen von verschiedenen Gegenden aus Südafrika und wohnen dort in Shacks (Räume aus Wellblech, die sie sich selbst bauen), da sie in Johannesburg Arbeit gefunden haben. Es war Normalzustand, dass Elektrizität und Wasser aus waren. Wir haben es uns dann mit Kerzen gemütlich gemacht haben. Auch dies ist Alltag für die meisten Menschen dort, da in den anderen Sections (Townships sind immer in Sektionen eingeteilt) weder Wasser, noch Elektrizität vorhanden ist. Ab sechs Uhr, wenn es dunkel ist, ist die Gegend ein Meer von Kerzen, da Shacks und Stände durch jene beleuchtet werden.

Wirklich geschockt hat mich der "Müllfluss", der zwei Sektionen voneinander trennt. Dies war einmal eine Sektion, wo Menschen in Shacks gewohnt haben. Allerdings wurde diese Gegend von Wasser überschwemmt und Menschen starben reihenweise. Erst als die Regierung sie zwang, zogen die Menschen dort in eine andere Gegend. Übrig geblieben ist ein ca. 10m breiter, flacher Fluss, der eine Müllhalde inne hat. Um in die andere Sektion zu gelangen mussten wir nun über Müllreste balancieren, damit unsere Füße trocken blieben. Auf unserem Rückweg sahen wir, wir wollten es nicht glauben, einen Jungen, der in dieser Brühe schwamm. Ich möchte nicht wissen, welche Krankheiten er sich dort eingefangen hat.

Müll ist ein grundlegendes Problem in dieser und in vielen anderen Gegenden. Da der Müll nicht geholt wird, liegt er überall herum u. an freien Plätzen findet man ganze Müllhalden.

Dann sind wir nach Durban gefahren, eine 700km lange Reise.
Zum Glück haben wir Johannesburg verlassen, bevor die Tankstellen streikten.
In ganz Johannesburg war das Benzin aus.
Am Montag, 5. August, habe ich angefangen zu arbeiten. Jeden ersten Montag im Monat hat das Team (Psychologe, Physiotherapeuten, Sozialarbeiter, HIV Counsellor und Medical Department- Ärzte u. Schwestern) ein Meeting, in dem grundlegende Probleme geklärt werden. Ich darf glücklicherweise an allen Meetings teilhaben, was mir die Chance gibt, einen richtigen Einblick zu bekommen.

Wenn man mit HIV infiziert ist, durchläuft man verschiedene Stadien.
Stadium 1 ist die Infektion, Stadium 2 sind Erkältungen, Hauterkrankungen u. -wucherungen, Stadium 3 versch. Krebsarten, -tumore u. TB.
In Stadium 4 sind die Patienten bis auf die Knochen abgemagert, haben viele Wunden und die Tuberkulose, die in diesem Stadium üblicherweise jeder hat. Die Gelenke und Knochen sind soweit angegriffen, dass der Patient weder Arme noch Beine bewegen kann. Sind verschiedene Tumore im Kopf vorhanden, kommt hinzu, dass der Patient auch den Kopf nicht bewegen kann. In diesem Stadium erblinden die Patienten häufig und reden kaum bis gar nicht. Viele von ihnen habe eine Meningitis (Hirnhautentzündung).
Das letzte Stadium ist Aids. Allerdings habe ich noch nicht so ganz verstanden. wie man dieses analysiert. Im Allgemeinen kann man allerdings keine harten Striche zw. den Stadien ziehen, sie gehen ineinander über.

Bis jetzt habe ich hauptsächlich mit den Physiotherapeuten zusammengearbeitet. Es ist schön zu sehen, wenn ein Patient aus Stadium 4, der sich kaum bewegen konnte, aufgrund unserer Arbeit mittlerweile läuft. Auch wenn dies leider die Ausnahme ist und viele Patienten, die in Stadium 4 sind, sterben.

Außerdem habe ich einen Tag mit der HIV-Counsellorin verbracht. Sie hat die Funktion den Patienten über seine Krankheit aufzuklären und gegebenenfalls auch dessen Familie. Sie hat eine psychologische Funktion und versucht über regelmäßige Gespräche dem Patienten zu helfen, seine Krankheit zu akzeptieren und mit ihr zu leben.
Wir haben mit einer Patientin darüber gesprochen, wann sie erfahren hat, dass sie HIV-positiv ist und wie sie damit umgegangen ist. Für viele Frauen hier ist es schwer die Krankheit zu akzeptieren, da sie sich nicht eingestehen wollen, dass z.B. ihr Ehemann sie infiziert hat.

Einen Tag habe ich mit einer Schwester verbracht. Wir haben den Patienten ihre Tabletten gegeben. Für sehr kranke Patienten crashen wir die Tabletten, damit sie sie schlucken können. Außerdem haben wir die Wunden behandelt.
Infektionen und Wunden sind vor allem bei den Frauen im Genitalbereich sehr schlimm, welche in Stadium 4 häufig zusätzlich an Vaginalkrebs erkrankt sind.

Das Problem ist, dass die Patienten erst feststellen, dass sie HIV-positiv sind, wenn sie schon richtig krank sind. Es würde ihre Behandlung erheblich erleichtern und die Heilungschancen erhöhen, wenn sich die Bevölkerung testen würde und man in Stadium 1 mit der Behandlung beginnen könnte.

Ein sehr positiver Moment für die Patienten hier sind die Aktivitäten, die wöchentlich stattfinden. Montags können sie malen, Donnerstags findet eine mit der HIV-Counsellorin "support group" statt, indem über alles andere, nur nicht über HIV gesprochen wir und man in die Zukunft schaut und Freitags ist Bingo (immer voll besucht und es gibt Preise!) und  Gottesdienst. Die Musik und das Singen macht ihnen wirklich Freude. Leider können an diesen Aktivitäten nur die Wenigen teilnehmen, die nicht schwer krank sind. Im Dream Centre sind ca. 40% in Stadium 4 und der Rest in Stadium 2 und 3.

Was sehr grausam ist, dass Menschen versuchen Geschäfte durch kranke Menschen zu machen, indem sie richtig kranke Patienten Dokumente unterschreiben lassen, um ans Geld zu kommen. Deshalb müssen wir immer ein Auge auf die Besucher haben.

Da das Dream Centre eine NGO ist, d.h. keine staatliche Institution, mangelt es an Equipment. Es gibt außerdem nur wenige Einzelzimmer.
Die restlichen Patienten liegen sozusagen in einem Raum, jeweils 4 in einem Zimmer und die Trennwand zum nächsten Zimmer ist bloß eine halbhohe Wand. MDR-TB Patienten, eine sehr starke Tuberkulose liegen ebenfalls in den offenen Räumen, was dazu führt, dass aufgrund der Bakterien, die durch die Luft fliegen, die anderen Patienten oft kränker werden und die Patienten Krankheiten an andere weitertragen.

Ich dachte immer, dass TB nur die Lungen angreift. Jedoch kann sie Lymphknoten, Haut, Darm, Nieren, Harn, Genitaltrakt, Knochen, Wirbelsäule und Gelenke mit angreifen. Um ehrlich zu sein, ist diese Krankheit mein Hauptproblem im Moment, da die Sicherheitsvorkehrungen hier nicht die selben sind, wie in Deutschland und ich noch nicht einschätzen kann, wie hoch das Risiko ist, dass ich mich hier mit TB infiziere, da es Schwestern gibt, die infiziert sind. Das Risiko sich zu infizieren ist geringer, wenn man sich gesund ernährt, damit das Immunsystem gestärkt ist. Allerdings habe ich ein sehr schwaches Immunsystem und bin sehr anfällig für Krankheiten.

Gerade eben habe ich mit der Physiotherapeutin gesprochen und ihr von meinem schwachen Immunsystem erzählt. Ihre direkte Reaktion war, dass dies nicht der richtige Ort für mich sei und dass ich aufgrund dessen nicht mit den Patienten arbeiten sollte. Im Dream Centre sei man aufgrund der offenen Räume durchgehend mit den Bakterien in Kontakt. Ihre Vorgängerin hat nach 7 Monaten das Dream Centre verlassen, da sie sich mit TB infiziert hatte.

Ich werde ebenfalls nochmal mit unserer Ärztin sprechen, die allerdings sehr beschäftigt ist, da sie als einzige Ärztin 100 Patienten behandelt.
Ich werde mich zudem nach einem staatlichen Krankenhaus umsehen oder einer anderen sozialen Organisation, z.B. einem Waisenhaus, in der ich einen Freiwilligen Dienst leisten kann und euch dann benachrichtigen, wie es mit mir weitergeht.

Neben meinen Ängsten habe ich aber auch wirklich schöne Dinge erlebt.
Ich habe an zwei traditionellen Zulu-Festen, die vor einer Hochzeit stattfinden, teilgenommen. In meiner nächsten E-Mail werde ich euch diese näher schildern werde. Die Musik ist der schwarzen Bevölkerung wirklich in die Wiege gelegt worden und ich genieße es sehr, wenn sie mit voller Freude singen, tanzen und nach Zulu-Tradition ihre Beine hochwerfen.
Auch ich musste ein kleines Konzert im Haus einer Familie veranstalten, nachdem sie hörten, dass ich Musik mache. Jetzt bestehen sie darauf, dass ich an der Hochzeit ihrer Tochter im November diesen Jahres singe.
Ich bin mir da allerdings noch nicht so sicher.

Leider habe ich auch schon 2 Beerdigungen von Menschen besucht, die zu jung waren, um zu sterben.

Bevor ich meine E-Mail beende, da meine Finger langsam schmerzen, noch drei Dinge, die mich wirklich geschockt haben:

In einer südafrikanischen Tradition (Xhosa) schneidet man sich die Fingerkuppe vom kleinen Finger ab. Ihr Glaube sagt, wenn sie dies nicht umsetzen, wird ihr Leben von schlechten Geistern, Unglück, begleitet werden.  Bei Eric (ein Freund) hat man dies im Alter von 7 Jahren durchgeführt.

Die andere Sache war der "Dombbas". Das ist Afrikaans, die Sprache der weißen Südafrikaner und bedeutet soviel wie "Pass für Dumme".
Während der Apartheid war dies der Ausweis für die schwarze Bevölkerung, welcher jedes einzelne private Detail einer Person inne hatte und man musste ihn immer bei sich haben. Dies hat mich ein bisschen an den Ausweis für Juden in der Nazizeit erinnert.

Außerdem macht man sich noch heute Komplimente unter den Schwarzsüdafrikanern, indem man sagt: "Du bist hübsch wie eine Weiße" und "Das hast du gut gemacht!" ist gleich bedeutend mit "Das hast du wie ein Weißer gemacht!"   
Last but not least, kam ich gestern in den Genuss glipprige Innereien zu essen. Dies ist besonders teures Fleisch hier und eine Delikatesse für die Bewohner. Das ganze Haus riecht nach Urin, wenn man dieses Fleisch kocht und der Geruch bleibt, während man es ist. Es war eine wirklich Überwindung und ich werde es nicht vermissen!

Soviel von mir. Ich hoffe, euch geht es gut und in Deutschland euch geht nicht der Benzin aus! ;)

Sala kahle! (stay well!) 

Linda