Limburg. Es soll ein Fußballfest der Superlative werden, weil in keinem anderen Land der Welt die Leidenschaft für diesen Sport stärker glüht als in Brasilien. Die Zweifel aber an der Dimension des Turniers bleiben bestehen ...
Bild: Larissa Mesquita aus Lindenholzhausen
Von Anken Bohnhorst-Vollmer
Larissa Mesquita ist stolz und glücklich. „Dass die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien stattfindet, ist das Beste, was dem Land passieren konnte“, sagt die junge Frau aus Lindenholzhausen. Larissa Mesquita ist Brasilianerin. Jahrelang hat sie mit ihrer Mutter in Recife, im nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco, gelebt. Sie kennt ihr Heimatland. Sie weiß, dass dort die sozialen Unterschiede immens sind, weil es „nur oben und unten, aber keine Mittelschicht“ gibt, dass die Sicherheitslage nicht so stabil ist wie in Deutschland und dass eine zuverlässige Krankenversorgung ebenso Luxus ist wie eine allgemeine Schulbildung. Trotzdem, insistiert die 20-Jährige, „für Brasilien ist das Ereignis ein Glücksfall“. Und: „Ist Deutschland nicht grundsätzlich Weltmeister im Bedenkenhaben?“, fragt sie. „Hier wird alles immer so schnell negativ gesehen“, meint Larissa Mesquita.
Dabei überwiegen die positiven Auswirkungen, ist sie überzeugt. „Brasilien hat so viel zu bieten“, schwärmt Larissa: Die kulturelle und geografische Vielseitigkeit des Landes seien einzigartig. Nirgendwo sonst seien Offenheit und Herzlichkeit der Menschen so ausgeprägt. Und „wir haben den Samba“. Der wird die Lebensfreude durch die ganze Welt tragen, ist die Brasilianerin aus Lindenholzhausen überzeugt. In den kommenden Wochen werde nicht nur auf den Fußballplätzen und den Stadionrängen getanzt. Überall werden sich friedliche Demonstrationszüge formieren. Ja, wiederholt sie, „friedlich“. Die Berichterstattung darüber ist ihrer Meinung nach nämlich wenig ausgewogen. Denn die gewalttätigen Kundgebungen, die in den deutschen Medien präsentiert werden, seien Randerscheinungen, berichtet Larissa Mesquita von Gesprächen mit Verwandten und Freunden in Recife und Sao Paulo. Dass an vielen Orten friedlich für den „Copa do Mundo“ demonstriert wird, bleibe leider unerwähnt.
Kritischer Blick
Die 17-jährige Verena Brux aus Montabaur sieht das kritischer. Seit einem Jahr lebt sie in Porto Seguro, der Stadt im Nordosten Brasiliens, in deren Nähe sowohl die deutsche als auch die schweizerische Nationalmannschaft ihr Quartier haben. Zwar habe man dort tatsächlich keine Bedenken, was die Sicherheitslage während des Wettbewerbs angeht, bestätigt sie die Meinung von Larissa Mesquita, der zufolge „alle paar Meter ein Polizist oder Soldat steht, um aufzupassen“. Die Austauschschülerin aus dem Westerwald äußert sich dennoch zurückhaltend. Denn „wie es weitergeht, wenn alles wieder auf den Vor-WM-Status zurückfällt, das ist die Frage, die sich die Menschen hier stellen. Das sind die Sorgen, die sie umtreiben.“
Natürlich wird man in Brasilien während des Turniers die Stimmung genießen, sagt auch Leo Graf aus Montabaur, der bis Sommer vergangenen Jahres im Land am Amazonas gelebt hat. „Die Brasilianer lieben Fußball, und während der Spiele wird alles andere ruhen. Die Straßen sind dann wie leer gefegt, weil jeder Brasilianer das Treiben auf dem Fußballplatz verfolgt.“ Auch der WM-Tourismus wird dem Land gut tun, weil er Geld in die Kassen spült, stimmt Leo Graf mit Verena Brux überein. Immerhin wurde wenigstens in den größten Städten sowie in den Austragungsorten die Infrastruktur verbessert, um dem Ansturm fußballbegeisterter Gäste zu begegnen. Ja, Arbeitsplätze wurden geschaffen, aber eben „nur temporär“, kommentiert Leo Graf.
Außerdem sei nicht nur viel Geld geflossen, sondern auch fehlgeleitet worden, ein Teil vermutlich auch in die Taschen von Politikern, gibt er zu bedenken. Und das führe zu Unruhen.
Noch unverständlicher sei freilich, dass Geld in Stadion-Projekte gepumpt wurde, die nach der Weltmeisterschaft nicht mehr gebraucht werden. In Manaus etwa, wo für ein paar hundert Millionen Real eine neue Fußballarena errichtet wurde, gibt es nicht einmal eine Mannschaft, die es in die dritte Liga schaffen könnte, räumt Larissa Mesquita ein. „Das verärgert die Menschen.“ Das Bildungs- und Gesundheitssystem dümpele auf niedrigem Niveau dahin, während für die WM Milliardenbeträge verschwendet werden, pflichtet Leo Graf ihr bei. Es sei ja nicht so, meint er, dass man sich in Brasilien nicht auf das Fußball-Großereignis freut. „Nur jetzt ist der falsche Zeitpunkt dafür.“ Aber um endlich die sechs Kilogramm schwere Siegtrophäe im eigenen Land zu gewinnen, ist der Zeitpunkt genau richtig, betont Larissa Mesquita. „Brasilien wird Weltmeister, und ich werde jubeln.“
Hinweis: Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.
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