Limburg. Die Limburger Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen den langjährigen Chef einer Außenstelle der Finanzverwaltung des Bistums erhoben. Die Strafverfolger ermittelten 362 Untreue-Fälle. Der geständige Werner Jung-Diefenbach hat die Katholische Kirche um insgesamt fünf Millionen Euro betrogen ...

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Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei
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Ex-Kassenchef betrügt Bistum um fünf Millionen – Jetzt liegt die Anklage vor – Sie listet 362 Fälle von Untreue auf

Von Joachim Heidersdorf

Früher hat Werner Jung-Diefenbach jede Menge Weihnachtsgrüße bekommen. Der 55-Jährige aus dem Limburger Stadtteil Lindenholzhausen galt in der Region als angesehene Persönlichkeit. In diesem Jahr übermittelten ihm nur noch ein paar Angehörige und Freunde ihre guten Wünsche. In seiner Post im Limburger Gefängnis war auch ein dicker Umschlag – aber der Inhalt wird Jung-Diefenbach überhaupt nicht gefallen haben: Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft.

Auf 20 Seiten listet Oberstaatsanwalt Hans-Joachim Herrchen die Ermittlungsergebnisse auf: 362 Unterschlagungen allein in den strafrechtlich relevanten vergangenen fünf Jahren. Angela Muth, die stellvertretende Leiterin der Limburger Staatsanwaltschaft, nannte unserer Zeitung die Details: Werner Jung-Diefenbach hat zwischen Oktober 2004 und September 2009 insgesamt 360 Mal (!) jeweils 7500 Euro und zwei Mal jeweils 5000 Euro in bar abgehoben – insgesamt 2,7 Millionen Mark.

Hinzu kommen 2,3 Millionen, die der Leiter des Rentamts Nord in Hadamar von 1999 bis 2004 im Bistum ergaunert hat; diese Straftaten sind inzwischen verjährt.

Eine Million hob er sogar vom Konto seiner eigenen Pfarrei St. Jakobus ab, auf das die Katholiken aus seinem Dorf ihr Kirchgeld und Spenden einzahlten.

Der Zins- und Steuerschaden ist bislang noch nicht berechnet worden.

Jung-Diefenbach hat laut Anklage «gewerbsmäßig gehandelt», in dem er sich über einen längeren Zeitraum eine dauerhafte Einnahmequelle sicherte, «einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeigeführt» und «seine Stellung als Amtsträger missbraucht». Dafür droht dem am 2. Oktober suspendierten und am 9. Oktober verhafteten Rentanden eine Freiheitsstrafe zwischen fünf und zehn Jahren.

Die in der Anklage summierte Untreue ist um 200 000 Euro höher als bisher angenommen, doch darüber wundert sich inzwischen keiner mehr. Die Vorgesetzten im Bischöflichen Ordinariat und die Menschen rund um Limburg haben sich inzwischen an ständig neue unvorstellbare Hiobsbotschaften gewöhnt. Sie sind freilich nach wie vor fassungslos, wie brutal sie von Werner Jung-Diefenbach über viele Jahre hinweg getäuscht worden sind.

Hinter der Fassade des stets freundlichen Mannes verbarg sich ein Straftäter, der die katholische Kirche nach Angaben der Prüfer mit großer krimineller Energie skrupellos betrog.

In den in der Anklage ermittelten Fällen bediente sich Jung-Diefenbach immer auf dem Konto des Gesamtverbandes der Katholischen Kirchengemeinden Limburg, der die elf Kindertagesstätten der Limburger Pfarreien als Träger verwaltet. Der Kassenchef war nebenbei Geschäftsführer dieses Zusammenschlusses, er hatte Einzelvollmacht bei den Banken und musste niemandem Rechenschaft ablegen.

Bei seinen Unterschlagungen ging er stets nach dem gleichen Muster vor. Die Barabhebungen ließ er mit der Begründung verbuchen, dass das Geld für die Stadt Limburg bestimmt sei und unmittelbar auf einem Konto der Stadt gutgeschrieben werde. Seinen Mitarbeitern sagte er, dass er mit diesem Verfahren Überweisungsgebühren sparen wollte. Den Minusstand auf dem Rentamtskonto verdeckte Jung-Diefenbach durch ein raffiniertes System von Verrechnungen («Luftbuchungen») und fingierten Forderungen.

Der gigantische Schwindel flog erst nach der Umstellung des Buchungssystems auf kaufmännisches Rechnungswesen auf. «Dadurch wurden nicht nur die Zahlungsvorgänge, sondern auch die Vermögensentwicklung sichtbar», erläutert Bistumsjustitiar Professor Dr. Gernot Sydow.

Externe Prüfer kamen dem Geschäftsführer im Spätsommer bei der Prüfung des Jahresabschlusses des Gesamtverbandes auf die Spur. «Danach hatten wir ein gutes Krisen-Management», sagt der Finanzdirektor des Bistums, Hans-Peter Althausen. «Wir haben so schnell wie möglich und so transparent wie möglich gehandelt.» Den Vorwurf, die Aufsichtsgremien und Kontrollmechanismen hätten versagt, weist Althausen energisch zurück. Dafür gibt es auch nach Angaben der Staatsanwaltschaft bisher keine Anhaltspunkte.

Trotzdem bleibt unbegreiflich, warum der Betrug in so großem Stil nicht früher entdeckt worden ist. Althausen verweist auf 385 000 maschinelle und 164 000 manuelle Buchungen pro Jahr im Rentamt in Hadamar. Die Außenstelle betreut 495 Mandanten, verwaltet ein Bilanzvolumen von rund 71 Millionen Euro und einen etwa doppelt so hohen Umsatz. Der Gesamtverband der Katholischen Kirchengemeinden hat einen Jahresumsatz von zirka vier bis fünf Millionen Euro. Jung-Diefenbach steckte jährlich immerhin mehr als zehn Prozent davon in die eigene Tasche – hätte da wirklich keiner stutzig werden müssen?

Mitentscheidend war wohl auch, dass die Vorgesetzten dem Chef von 30 Mitarbeitern offensichtlich blind vertrauten.

Eine nachvollziehbare Erklärung ist überfällig. Sonst muss die Diözese neben dem Finanz- auch noch einen Vertrauensverlust hinnehmen. Die Kirchenmitglieder, denen seit Jahren harte Sparprogramme zugemutet werden, erwarten, dass ihre Gelder professionell verwaltet werden.

Weil das Bistum sich bei der lückenlosen Aufklärung nicht auf die vergangenen fünf Jahre beschränken wollte, beauftragten die Verantwortlichen die Spezialabteilung für Wirtschaftskriminalität der Prüfungsgesellschaft «PricewaterhouseCoopers (PwC) mit weiteren Untersuchungen.

Ein Million von St. Jakobus


Die Experten wurden schnell fündig und wiesen nach, dass sich Jung-Diefenbach auch in der eigenen Kirchengemeinde persönlich bereichert hat. Von 1983 bis 2002 hob er insgesamt eine Million Euro vom Konto von St. Jakobus Lindenholzhausen ab, meistens 1000 Mark am Geldautomaten. Der Pfarrei, für die er als ehrenamtlicher Kirchenrechner arbeitete, entstand ein Verlust von 59 000 Euro. Wenn das Konto nicht genügend gedeckt war, hatte Jung-Diefenbach vom Rentamt Geld für St. Jakobus überwiesen.

«Der Rentand hat auch sein Ehrenamt ausgenutzt. Er hat seine Pfarrei hintergegangen, in der er als praktizierender Katholik und als Vertrauensperson angesehen war», sagt Gernot Sydow.

Das Bistum will Geld zurück


Der Justitiar setzt nun alles daran, dass die Diözese so viel wie möglich vom unterschlagenen Geld zurückbekommt. Als ersten Schritt wertet Sydow die vom Landgericht Limburg erlassenen Arrestbefehle über das Vermögen von Werner Jung-Diefenbach und seiner beiden Töchter. Sie bilden die Grundlage für eine Zwangsvollstreckung. Damit hat die Kirche die Hand über den Immobilien und Grundstücken der Familie. Konkret: In den Grundbüchern sind jetzt sogenannte Arresthypotheken zugunsten des Bistums eingetragen. Werner Jung-Diefenbach hat eingeräumt, seine Töchter hätten in erheblichem Umfang von den Straftaten profitiert.

Wo ist der Rest der Millionen?


Gegenüber dem Staatsanwalt hat Jung-Diefenbach behauptet, dass außer den Immobilienwerten alles weg ist. Dies mögen ihm die Ermittler nicht glauben. Sie haben allerdings keine Hinweise darauf, wo das viele Geld versickert sein könnte. «Der größte Teil, dessen Verwendung wir verfolgen konnten, ist in der Familie gelandet», sagt Staatsanwaltssprecherin Angela Muth. «Doch bei weitem keine fünf Millionen.»

Wie Manna vom Himmel?

Ob die Angehörigen dachten, dass das Geld wie Manna vom Himmel fällt?

Der treu sorgende Vater holte sich in hässlicher Regelmäßigkeit, zusätzlich zum Gehalt, alle fünf Tage und sechs mal im Monat 7500 Euro auf der Bank. In Lindenholzhausen soll er seinen Reichtum mit einem Lotto-Gewinn und erfolgreichen Immobilien-Geschäften begründet haben.

Der Angeklagte erklärt die Ausgaben mit einem aufwändigen Lebensstil, vor allem für teure Urlaube und dicke Autos. Außerdem will er in den vergangenen Jahren viel gespendet haben, Empfänger soll unter anderem ein Kinderhospiz in Südafrika gewesen sein. «Von der Summe, die der Beschuldigte genannt hat, ist dort jedoch nur ein Bruchteil angekommen», sagt Angela Muth. Bestätigt habe sich dagegen eine Spende in fünfstelliger Höhe für den Hessischen Sängerbund.

In diesem Verband amtierte Werner Jung-Diefenbach bis zu seiner Verhaftung als Vize-Präsident, in seinem Heimatort stand er 20 Jahre lang dem 800 Mitglieder starken Gesangverein «Cäcilia» vor.

In Limburg hätte das CDU-Mitglied vor sechs Jahren sogar Hauptamtlicher Erster Stadtrat werden können, in der Kirche genoss er großes Ansehen.

Ein vermeintlich honoriger Bürger – tatsächlich ein Schein-Heiliger im schlechtesten Wortsinn. hei

Die Finanzverwalter des Bischofs

Das Bistum Limburg unterhält für die 663 000 Katholiken in seinem Gebiet, darunter auch die Stadt Frankfurt, zwei Finanzverwaltungen: das Rentamt Nord in Hadamar und das Rentamt Süd in Kelkheim. Die Außenstelle in Hadamar bei Limburg ist für rund 170 katholische Kirchengemeinden der Bezirke Limburg, Lahn-Dill-Eder, Rhein-Lahn, Wetzlar und Westerwald zuständig. Die Mitarbeiter betreuen die Kirchengemeinden und deren Einrichtungen in allen kaufmännischen und verwalterischen Belangen. Sie stellen die kaufmännische Buchführung sicher, überwachen den Zahlungsverkehr und kümmern sich um die Jahresabschlüsse. Das Rentamt unterstützt die Pfarreien bei allen Personalangelegenheiten, außerdem obliegt ihm die Liegenschaftsverwaltung.

Als Konsequenz auf den Finanzskandal stellt das Bistum nach Angaben seines Justitiars alle Kontroll- und Prüfungsinstrumente auf den Prüfstand. Risikobereiche werden laut Gernot Sydow neu definiert und die Außenstelle in Kelkheim zurzeit einer Sonderprüfung unterzogen. Der Diözesankirchensteuerrat hat kürzlich zugestimmt, die interne Revision personell zu verstärken.

[Hier] finden Sie den Original Artikel auf der NNP Seite mit Kommentaren unter dem Artikel.

[Hier] im Webauftritt von Lindenholzhausen.de finden Sie unseren Artikel "Unterschlagung - Ist nun alles bekannt? " mit der Historie und entsprechenden Links.